zurück

SFB Kulturen des Performativen, Projekt B7, Teilprojekt 2:
Die Kunstkammer und ihre Aktualität. Museale Inszenierungen von Naturgeschichte in früher Neuzeit und Gegenwart

http://www.sfb-performativ.de/seiten/b7_2.html



Projektbeschreibung


Die Kunstkammer und ihre Aktualität. Museale Inszenierungen von Naturgeschichte in früher Neuzeit und Gegenwart

Ausstellungen und museale Präsentationen werden in jüngster Vergangenheit häufig in direktem Rückbezug auf Universalsammlungen der frühen Neuzeit konzipiert und realisiert. Mit Bildern und anderen Exponaten aus Kunst und Natur, aus Wissenschaften und technischen Prozessen werden dabei auf verschiedene Weise auch Relationen zwischen Humangeschichte und Natur visualisiert. Die ästhetischen Strategien derartiger Inszenierungen appellieren an das Assoziationsvermögen von Besuchern und bieten ihm spielerische Formen der Interaktion an. In ihrem performativen Potential stehen derartige Inszenierungen zwischen wissenschaftlichem Diskurs und der Laienöffentlichkeit.

1. Basilius Besler, Fasciculus Rariorum ..., Nürnberg 1616, Frontispiz 2. Delbrügge & de Moll, WildCards, Ausstellungsfoto: Science + Fiction, Hannover 2003

Einen Höhepunkt erreichte diese Tendenz in Ausstellungen zur Jahrtausendwende. Erinnert sei an die „7 hügel“ (Berlin 2000) oder die Themenparks der „Expo 2000“ (Hannover 2000). Hier kulminierte ein Bedürfnis nach ereignishaften Gesamtdarstellungen, die eine Zusammenschau von Natur- und Wissensgeschichte mit Perspektiven künftiger wissenschaftlich-technischer Zivilisation bieten. Im Kontrast zu diesen opulenten Veranstaltungen knüpften auch ästhetisch zurückhaltender inszenierte Ausstellungen an die Tradition frühneuzeitlicher Museen an. So etwa das „Theater der Natur und Kunst“ (Berlin 2000/01), in dem die Sammlungsbestände der Humboldt-Universität zu Berlin in ihrer eigenen Geschichtlichkeit vorgestellt wurden. Diese “Renaissance“ der Kunstkammer als Modell für Präsentationen mit universellem Anspruch hält indessen unvermindert an, ja sie scheint sich in ihren Facetten erweitert zu haben. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf die Ausstellungen „Devices of Wonder“ (Los Angeles 2001/02), „Science + Fiction“ (Hannover/Karlsruhe 2002/03), auf die Retrospektive des Architektenduos Herzog und de Meuron (Montreal/Rotterdam/Basel 2002-04) aber auch auf Ausstellungen zu historischen Wunderkammern wie der von Zar Peter I. (Gotha 2003).

Angesichts dieses Trends in der zeitgenössischen Ausstellungs- und Museums-praxis hat das Projekt zwei Schwerpunkte, denen ein durchaus eigenständiger Wert zukommt.
1.) Zum einen geht es um die Analyse und Kritik gegenwärtiger Ausstellungen bzw. musealer Inszenierungen. Diese Aufgabe steht vor dem Problemhorizont, dass sich gegenwärtig wie auch in Zukunft weder die Disproportion zwischen naturgeschichtlicher Zeit und Humangeschichte aufheben lassen werden, noch die Geschichte der Natur – angesichts neuester Technologien und Projekte in den life sciences – als unabhängig von menschlichem Einfluß zu denken ist. In diesem Zwielicht steht die neue Popularität von Naturwissenschaft und Hochtechnologie. Hier gilt es das Hypermedium Ausstellung in seiner spezifischen Performativität auf seine historischen Dimensionen hin zu untersuchen und als einen signifikanten Bereich ästhetischer Praxis zu beurteilen.
2.) Im Rahmen der bisherigen Projektarbeit hat sich der historische Teil des Vorhabens – d.h. Untersuchungen zu den Sammlungen des 16. bis 18. Jahrhunderts – zunehmend als ein eigenständiges Problemfeld erwiesen. Aufbauend auf eine umfangreiche Forschungsliteratur und eigene Ergebnisse gilt es in der weiteren Projektarbeit vor allem die Frage nach der systematischen Position von Bildwerken und deren Funktionen in konkreten Handlungszusammenhängen zu verfolgen.



3. Mark Dion, Tate Thames Dig, large nail and tooth, 1999



4. Johann Jakob Scheuchzer, Collage mit Fossilien und Ruinenvedute, um 1720


Ziel des Projekts ist es, zu zeigen, inwiefern die Kunstkammern und ihre gegenwärtige Reaktivierung das Versprechen enthalten, dass in ihnen Wissen über Natur- und Humangeschichte gleichsam an den Rändern intentionalen, strikt methodisch organisierten und reglementierten Handelns sinnlich erfahrbar wird. Ausgehend vom historischen Phänomen zielt die Fokussierung auf Handlungen und Bildverfahren dabei auf eine kritische Weiterführung der von Michel Foucault entworfenen Archäologie des Wissens. An konkreten Praktiken und Formen der Verkörperung von Wissen – als Desideraten des Foucaultschen Projekts – lässt sich die Performativität von Wissen als diskontinuierlicher Prozess, in der Verschränkung von strategischem Handeln und Emergenzphänomenen entfalten.


24.11.2004