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SFB Kulturen des Performativen, Projekt B7, Teilprojekt 1:
Bibliothek, Karte, Stadt: Raummodelle des Wissens

http://www.sfb-performativ.de/seiten/b7
.html


Projektbeschreibung

Die Verräumlichung und räumliche Anordnung von Wissensgegenständen stellt eine besondere Praxis der Wissens- und Gedächtnisorganisation dar. Bereits im Rahmen der antiken Gedächtniskunst, wie sie mit der römischen Rhetorik überliefert ist, sind mit der loci-Methode die Regeln zu einer entsprechenden Ordnungsstrategie gegeben. Die loci-Methode kann dabei selbst als die ‘Introjektion’ eines Verfahrens angesehen werden, das im urbanen wie Landschaftsraum ausgeübt worden ist, nämlich die Verortung des kollektiven Wissens und Gedächtnisses in einer konkreten räumlichen Umgebung, die darüber zugleich als eine Konfiguration bedeutungstragender wie identitätsstiftender Orte erscheint. Raum- und Sinnordnung sind schon hier unmittelbar aufeinander verwiesen.
Der urbane Raum als ein zu imaginierendes Orts- und Ablagesystem geht in die antike Gedächtniskunst ein und wird innerhalb der räumlichen Wissensorganisation ein bevorzugtes Ordnungsmodell abgeben. Das zeigen nicht nur die literarischen Ideal- und Wissensstädte der frühen Neuzeit, u.a. die Città del Sole von Tommaso Campanella und die Christianopolis von Johann Valentin Andreae, sondern auch die aktuellen Ansätze räumlicher Wissensorganisation, die im Zuge der computergestützten Datenverwaltung aufgekommen sind. Seit den 1980er Jahren können so zahlreiche ‘Information Cities’ verzeichnet werden. Die Konjunktur räumlicher Wissensorganisation in der Computermoderne hat eine Adaption und Erweiterung der hergebrachten Verfahren mit sich gebracht. Neben der räumlichen Verortung von Wissensgegenständen spielen etwa perspektivische Verfahren, mit denen verschiedene Ansichten und Ordnungen von Datenbeständen generiert werden können, eine zentrale Rolle. Mit diesen Ansätzen sind andere, bisher dominierende zeitliche Ordnungsverfahren, solche der historiographischen Chronologie und Diachronie, ein Stück weit relativiert worden. Parallel dazu hat eine kritische Reflexion der räumlichen Wissensorganisation eingesetzt, mit der auch der Raum als ein Medium und Problem der Darstellung von Wissen neue Aufmerksamkeit gefunden hat.

1. Johann Valentin Andreae, Christianopolis, Kupferstich 1619 2. Jan Cornelis Woudanus, Universitätsbibliothek Leiden, Kupferstich 1610

Auf diesem Hintergrund beschäftigt sich das Forschungsprojekt „Bibliothek, Karte, Stadt: Raummodelle des Wissens” mit zwei besonderen Wissensräumen und ihren Ordnungen: 1.) dem urbanen Raum, 2.) der Bibliothek. Das Korpus setzt sich im einzelnen aus frühneuzeitlichen Bibliotheken als materiellen Wissensräumen sowie aus literarischen Entwürfen und Beschreibungen urbaner und topographischer Wissensordnungen zusammen. Über diese Materialauswahl ist fernerhin ein Vergleich zwischen imaginären und materiellen Wissensräumen und deren jeweils eigenen Ordnungs- und Darstellungsproblemen angestrebt. Dem Konzept der ‘Karte’ kommt hierbei eine epistemologische Funktion zu. Zusammen mit dem Konzept der ‘Wanderung’ dient es der Beschreibung und Analyse von zwei elementaren Modi der Aneignung und Repräsentation von Räumen.
Übergeordnetes Ziel des Forschungsprojektes ist es, die räumliche Wissensorganisation, die nicht in statischen Ordnungs- und Klassifikationssystemen aufgeht, sondern vielfältige Handlungsprozesse voraussetzt, als eine performative Praxis herauszustellen. Wissensräume sind immer auch Handlungsräume. Sie sind Orte des Ein- und Umräumens, des Aufteilens und Gliederns, des Katalogisierens und Indizierens, und sie sind Orte, an denen komplexe, zum Teil gerichtete, zum Teil weit umherschweifende Suchbewegungen stattfinden. Als diese performative Praxis hat die räumliche Wissensorganisation sowohl die Sinnproduktion wie auch die Wissenschafts- und Mediengeschichte grundlegend beeinflußt.

08.09.2004