In: Magazyn Szutki, Nr. 16-16, H. 3-4 (1998), S. 89-102.

Hartmut Böhme

Eine Reise in das Innere der Körper und darüber hinaus.

- Die Kunst der Alicja Zebrowska.


"Onone" — Zwischen den Geschlechtern.

"Onone — World after the World" (1995) ist ein Video- und Installationsprojekt, das Alicja Zebrowska 1995 realisierte und zu welchem, wie schon bei verschiedenen anderen Video-Projekten, Dariusz Baster die elektronische Musik beisteuerte. "Onone" ist ein polnisches Kunstwort, aus "Er/Sie" (He/Her) zusammengesetzt und gibt den Titel für eine androgyne oder transsexuelle Phantasie her. Die künstlerisch-explorative Arbeit am eigenen Leib und an den in diesem verkörperten Phantasmen wird in diesem Projekt fortgesetzt und erreicht ein neues, synthetisches Niveau. In einer lockeren Folge von Szenen, die keine Geschichte erzählen, sehen wir junge Humanwesen, fast noch Kinder, die ihre geschlechtlicher Idendität mittels künstlicher, sexueller Implantate verlassen und neue transhumane Hermaphroditen bilden.

Es geht nicht um Science-Fiction. Auch die Videotechnik versucht gar nicht erst, mit dem technischen Bildzauber des futuristischen Holywood-Films zu konkurrieren. Es sind Laien, die agieren, und die Kamera operiert nicht auf dem technical state of the art, sondern in künstlicher Naivität. Kein High Technology Laboratory ist zu sehen, keine hyperreales Environment, kein Weltraumschiff, keine gentechnische Versuchsstation. Auch am Schluß des Films ist die Elevation und der schwerelos Flug des transsexuellen Wesens im schwarzen, von Sternenlicht durchflimmerten Weltraum ohne technische Raffinesse. Trotz des elektronischen Sphärenklangs stellt sich keine Assoziation zu den perfekten Weltraum-Simulationen der Science Fiction Movies her. Keine männlich-heroischen Phantasien von der Eroberung neuer Galaxien oder der Schöpfung transhumaner Existenzformen werden hier ausagiert. Vielmehr sind es spielerische, zwischen Bukolik, Groteske und Humoreske schwebende Träume einer Frau an den Grenzen der symbolischen und physiologischen Ordnung der Geschlechter.

Alicja Zebrowska macht auch keine Anleihen bei den hybriden Phantasien der Gen-Medizin, welche manche amerikanische Feministin von träumen lassen, mittels technischer Manipulation die repressive Geschlechterordnung zu überschreiten: als warte die Freiheit jenseits der endgültig verlassenen Grenzen der Natur, in deren Namen immer schon die Frauen unterdrückt wurden. Alicja Zebrowska inszeniert statt dessen auf witzige und gewitzte Weise verschiedenen Topiken abendländischer Kunstformen und gestaltet sie um zu ironischen Etuden eines der ältesten Motive der Kultur, nämlich der Androgynität oder des Hermaphroditismus. So lagert Alicja Zebrowska einen Frauenkörper in eine blumenübersäte Wildwiese, gesäumt von einem rieselnden Bach. Die Frau ist nackt. So weit, so gut, nämlich Natur. Doch sehen wir die Hüften der Frau umschürzt von transparenter Plastikfolie, durch welche ein riesiger, schlauchartiger Penis schimmert. Auf ihren Brüsten sitzen Plastik-Phalli, von deren Eicheln Schläuche ausgehen, die verbunden sind mit dem Wasser im Bach und mit einem maschinalen Pumpen-Aggregat neben dem Bach. So weit, so gut, nämlich Künstlichkeit.

Der kleine Bach bildet einen vaginalen Einschnitt in der Wiese, mit üppigem Bewuchs der Böschung, aus der gelblich-rötliche Kugeln hervorleuchten. Es sind Äpfel, die aber — ähnlich wie die Hüften der Frau in Plastik eingeschlagen sind — unmantelt sind von Kautschuk. Von den Äpfeln gehen ebenfalls feine Schläuche aus, die zum Bache, zur Pumpmaschine und zum Körper des Androgynen führen. Die Maschine ist eine Pumpe, wie sie üblicherweise beim Melken von Kühen verwendet wird. Körper, Natur und Technik gehen eine seltsame Synthese ein, die alles drei hinter sich läßt.

Offenbar wohnen wir der Zirkulation von Energien und und Flüssen bei, welche zunächst verschiedene traditionelle Symbolfelder miteinder in Austausch versetzt: die Paradies-Äpfel, die Natur-Idyllik, die milchspendende Gaia, das Wasser des Lebens, der sexuelle Körper, die wuchernde Fruchtbarkeit der Erde. Die Installation gewinnt insgesamt eine hybride Form. Es wuchert. Michail Bachtin hat das Hybride als charakteristisch für den frühneuzeitlichen, den grotesken Körper erkannt. Dieser ist gerade nicht glatt, geschlossen, in der Geschlechterordnung sauber situiert, von spiritueller Klarheit, sondern er ist ganz und gar materiell, porös, nicht abgregrenzt, durchströmt von den Energien, die aus dem Körper quellen, und von Energien, die ihn von außen durchpulsen. Alicja Zebrowska schafft einen solchen Körper, der durch seine Anschlüsse und Hybriditäten definiert wird. Und doch ist er nicht eine Erinnerung an frühnneuzeitliche Körperlichkeit. Er ist auch nicht das Zitat des von Platon erzählten, sog. Aristophanes-Mythos des Androgynen. Die Doppelgeschlechtler Platons bildeten jene archaische Form der Menschengattung, die wegen seiner bisexuellen (darum kugelrunden) Vollkommenheit die Götter neidisch machte. Deshalb löschten die Götter die androgyne Gattung aus, indem sie die Kugel-Körper zerschnitten und so die bipolare Ordnung der Geschlechter kreierten (Platon: Symposion).

Man mag daran denken — doch Alicja Zebrowska nimmt all diese Assoziationen an alteuropäische Symbolformen spielerisch und ironisch auf. Sie inszeniert ihr System der Zirkulation der sexuellen Energien und Flüsse zwischen Natur, Maschine und Leib auch nicht mit jenem pathetischen Ernst, mit welchem Gilles Deleuze und Felix Guattari im "Anit-Ödipus" (1974) das grenzenlose Pumpwerk des Begehrens und der zirkulierenden Lüste in den Dienst der politischen Befreiung stellten. Alicja Zebrowska befreit ihren bukolischen "Garten der Lüste" auch von der dämonologischen Metaphysik des Sexus, in welche Hieronymus Bosch sein berühmtes Gemälde tauchte (Museo del Prado, Madrid).

Es ist hier bei Alicja Zebrowska ein heiteres Experiment, eine spielerische Preisgabe an eine Phantasie, für welche das nicht zufällig rothaarige Geschöpf dereinst als Hexe gegolten hätte, als heidnischer Natur-Dämon und teuflischer Succubus der sündigen Lust. Hier jedoch treibt ein karnevalesker Humor sein Spiel. Alicja Zebrowska läßt Mythos und Paradies, Theologie und Moral, Gattungsformen und Genres mit leichter Geste ebenso hinter sich wie die Grenzen des Körpers, in die wir gewöhnlich eingekerkert sind, Verdammte des bipolaren, ödipalisierten Sexus.

Später sehen wir die mit Energien der Gaia-Maschine aufgetankte androgyne Elfe (auch dies ein Zitat) über die Wiesen tanzen mit wippenden Busen-Phalli und riesigem Esels-Schwanz (die Kamera tanzt und torkelt mit). Es ist ein bißchen Shakespare's "A Midsummer Nights Dream". Oder vielleicht mag man sich auch an das heidnische, orgiastische Mitsommernachts-Fest erinnern, das Andrej Tarkowskij in seinem Film "Andrej Rublow" zum Gegenbild der christlichen Frömmigkeit und der fleischfeindlichen Ekstase werden ließ. Doch der Tanz Onones ist linkisch, laienhaft, anfängerhaft, unprofessionell, keineswegs reine Grazie als Ausdruck der Natur oder perfekter Stil als Ausdruck des Artifiziellen. Onone ist auch kein Zitat all der positiven und bösen, eschatologischen wie dämonischen Phantasien und Mythen, die sich von alters her an den Tanz geküpft haben, — als offenbare der Tanz den Abgrund oder im Gegenteil: die Erlösung des Menschen. Die sich selbst genügende, autark gewordene Androgyne ist eine untragische, humoreske Schwester des Narziß von Ovid (Metamorphosen). Und wenn sie/er, Onone, in der altehrwürdigen Gebärde der Melancholia auf einem Felsen sitzt, das Kinn auf die Hand gestützt, so dementiert sie gerade darin die Schwermut und Trauer der Reflexion, Onone, das heiter hingegebene, künstliche, aber gar nicht kunstvolle Geschöpf, das ganz und gar zum polymorphen Geschlechtsteil geworden ist.

"Assimilatio" nennt Alicja Zebrowska diese Figuration von Onone: "Angleichung", "Anähnelung". Das Verb assimulare heißt auch: ähnlich machen, ähnlich darstellen, nachahmen, nachbilden, vergleichen, vorgeben, vortäuschen, sogar: heucheln. All dies ist das Geschäft der Kunst. Wir bemerken: Alicja Zebrowska bildet in Onone auch eine reflexive Allegorie der Kunst. Androgynie refktiert in mythischer Form die Struktur der Kunst. Kunst ist das grenzüberschrietende Ähnlichmachen und Korrespondierenlassen des sonst Unähnlichen — das ist regio assimilationis. Und wenn wir dies sagen, erinnern wir uns, daß in der Theologie des Mittelalters die regio dissimilitudinis — das Land der Unähnlichkeit — das Teufelsland, das Reich der Narren und Sünder war, das Land der absoluten Gottesferne (so z.B. Huldebert von Lavardin, gest. 1163). Daraus ist zu entnehmen, daß Onone, der/die sich allem assimiliert und dem/der alles sich assimiliert, mit dieser Zirkulation des Ähnlichen schließlich auch ein Spiel mit der Frömmigkeit darstellt. Genauer gesagt: Onone ist die heitere Produktion jener Ähnlichkeit, die den Menschen ganz nah an Gott rückt (assimilatio ist der Weg zur imago dei), der bekanntlich auch deswegen Gott ist, weil er Onone ist: der perfekte Androgyn — wie auch sein Sohn Jesus im Mittelalter des öfteren als androgyn phantasiert wurde (Aurnhammer, Achim: Androgynie. Studien zu einem Motiv in der europäischen Literatur; Köln 1986.; Leo Steinberg: The sexuality of Christ).

"Autoholos" — oder die Selbstgenügsamkeit

In "Onone" spielen die übrigen Szene nicht in 'freier Natur', sondern in künstlichen Interieurs (oder im Weltall). Mit "Autoholos" — das heißt: 'der sich selbst ein Ganzes ist' — inszeniert Alicja Zebrowska ein engelhaftes Wesen. Autoholos steht auf einem mit silberner Folie beschlagenen Podest vor einer ebenfalls silbernen Folien-Wand, deren Knickspuren wie Zielmauerwerk wirken. Wir blicken aus leichter Untersicht auf den/die uns frontal zugekehrte, eigenartig entrückte Onone. Er/sie ist einem Idol ähnlich, statuarisch erstarrt, mit leicht abgepreizten, eine Glockenform bildenden Armen, als wäre er/sie in dem Augenblick bewegungslos geworden, in welchem er/sie die Arme in die klassische Oranten-Haltung habe bringen wollen. Der unbewegte Blick geht, leicht schräg, über uns hinweg aus dem Bild heraus in eine unbestimmte, leere Ferne. Wir selbst werden in eine Orantenhaltung gebracht. Denn wahrlich haben wir es mit einem Kult-Bild zu tun. Eingehüllt ist Autoholos in ein transparentes Plastikfolien-Gewand, das die Körperform auratisch vergrößert, glockenförmig ausschwingend, aber auch flügelhaft aufgespreitet, engelsgleich, mit einem überdimensionierten, vom Kragen aufsteigenden Schwung, der sich über dem Kopf bekrönend zusammenschließt. So entsteht ein Rahmen für das Gesicht, der aber auch an einen Heiligenschein, einen Nimbus erinnert. Die phallischen Brustwarzen sind in ein Plastik-Futteral gehüllt — man darf an Condome denken — und aus dem weiblichen Schoß dringt schlangenhaft ein Riesen-Genital, das kurvig zur Vagina zurückkehrt, als wolle die Figur sich selbst begatten: autoholos.

Natürlich wird hier mit der Tradition der Kult-Bilder, der Heiligen-Statuen, der (sexuellen, sakralen) Fetische gespielt. Jede Verkultung des Sexus ist dem Heiligen nahe. Oder umgekehrt ist das Heilige, dem wir unsere Inbrunst widmen, vielleicht nur abgezweigte erotische Energie. Wer weiß es? Sphärisch entrückt ist uns dieser androgyne Fetisch, daran gemahnend, daß alle radikal selbstreferentielle Sexualität in ihrer geschlossenen Genügsamkeit eine wahrhaft göttliche Form aufweist — und eben darum, einbrechend in die Menschenwelt, als pervers und pathologisch gilt. Der Autoholos ist der absolut Unberührbare, der Reine, "Noli me tangere". Er ist in seine Aura wie in einen Ganzkörper-Condom gehüllt, der die sexuellen Flüsse dieses Onones in sich selbst kreisen läßt — eine andere Zirkulation als diejenige, die bei der "Assimilatio" Leib, Maschine und Natur in einen Kreislauf der Säfte versetzt.

Hier wie des öfteren bei Alicja Zebrowska ist zu bemerken, daß ihr ästhetisches Spiel mit tradierten Formen immer an der Grenze zum Kitsch operiert. Nicht ohne amüsierte Ironie demonstrieren uns die Installationen, daß gerade das, was uns das Wichtigste ist, das Religiöse und das Erotische, seit jeher dem Kitsch besonders nahestand. Alicja Zebrowska spielt beinahe immer ein gewagtes Spiel mit dem Geschmacklosen. Dessen Grenzwerte bilden das Obszöne und das religiös Andächtige, die beide in der Gefahr stehen, ins Ekelhafte oder Lächerliche umzukippen. So mischen sich auch hier die Zitate des Erhabenen und Entrückten mit dem Grotesken und Theatralischen. Und diese Zitat-Praxis kreiert eine Art manierierten Synkretismus, eine Travestie auf den sakralisierten Sexus und die sexualisierte Sakralität. Diese Ästhetik der Travestie erst bewahrt die Installationen von Alicja Zebrowska vor dem Kitsch.

"Affirmatio" oder: Permanente Selbsterregung

"Affirmatio" heißt die Installation, bei welcher ein anderer Onone, ebenfalls auf dem silbernen Podest arrangiert, sich in einem Spiegel — dem klassischen Venus-Attribut — seiner Doppelgeschlechtlichkeit versichert; oder Onone wird in seitlicher Sitzhaltung gezeigt, mit angezogenen Knien, wobei sein ebenso herrlich wie grotesk langer Schwanz die Basisseite des Dreiecks der Beine bildet. Beidemale wirkt Onone selbstversunken, ganz Blick auf seine doppelgeschlechtlich prangenden Genitalien, oder ganz Konzentration auf den überlangen Schwanz, der die pyramidale Form des Körpers erst erzeugt. Zweifellos ist der Phallus hier die 'Mastertrope' (Paul de Man), ohne welche keine Affirmation möglich wäre. Affirmatio ist hier nichts als Selbstaffirmation: das Androgyne benötigt keine communicatio . Androgynität ist strikt a-sozial. Sie ist Differenzierung in sich selbst, die auf kein Anderes und kein Draußen verweist, von dem die Selbstidentifikation abhängig wäre. Androgynität ist der mythische, ins Sexuelle gedrehte Traum absoluter Selbstreferenz, die absolut unfruchtbar wäre, wenn sie nicht mit der Bisexualität so etwas wie eine Binnenpolarität geschaffen hätte, eine Spannung also, die sich wie ein perpetuum mobile endlos aufrecht erhält: eine auf Permanenz gestellte Selbsterregung, eine ewige Taufe des Ich mit sich selbst, eine finale Unbedürftigkeit, die von nichts und niemandem abhängt, ein Sehnen, das niemals aus sich selbst heraus auf anderes zielt, sondern in sich kreist, — kurz: eine Ganzheit, die aus sich selbst besteht. Auch hierin erkennen wir: "Affirmatio" ist eine Allegorie des autonomen Kunstwerkes. Seine radikale Selbstaffirmation ist radikale Negation von allem, was es nicht selbst ist. Der Androgyn ist die mythische Form des Kunstwerks.

"Continuo" oder: Traum der Kunst und zweite Haut

Die Onone-Szenen mit den blondhaarigen Doppel-Figuren stehen unter dem Titel "Continuo". Dies heißt: 'ich reihe aneinander', 'ich füge zusammen', 'ich verbinde', 'ich schließe an', 'ich lasse aufeinander folgen', 'ich runde ab', 'ich setze ohne Unterbrechung fort'. Dieser 1.Sing. Präs. von continuare ist aufschlußreich: der Titel verweist auf das Ich der Künstlerin, die mit dem Titel der Installation nicht nur auf das Dargestellte, sondern auch das Darstellende hinweist. Auch hier geht es mithin nicht nur um Androgynität, sondern allegorisch auch um die Frage ästhetischer Produktion. Durchaus hat dies in der langen Tradition des Androgynitäts-Phantasmas seine Entsprechung. Man kann beobachten, daß das Motivliche und Inhaltliche der Androgynität sich seit dem Beginn der Moderne, also seit der Romantik, auflöst oder verschiebt. Im Jahrhundert zwischen Friedrich Schlegels "Lucinde" und Robert Musils "Vereinigungen" oder Virginia Woolfs "Orlando" wird zunehmend die Frage nach der körperlichen Androgyninität verbunden mit der Frage der Doppelgeschlechtlichkeit der poetischen und künstlerischen Verfahren. Die Installationen von Alicja Zebrowska haben mit diesem Prozeß insofern zu tun, als die Künstlerin das Androgyne als den utopischen, allerdings bereits travestierten Ort des bisexuellen Körpers darstellt. Zugleich jedoch kehrt sie dabei das ambige, gebrochene, artifizielle, phantasmatische, nicht mehr duale, sondern polymorphe, ironische Changieren der künstlerischen Verfahren heraus. Deswegen müssen wir alle Installationen einem doppelten Blick, einer zwiefachen Lektüre unterziehen: im entzifferten Sujet, dem Dargestellten, haben wir zugleich das Strukturelle, die Darstellung zu erkennen. Damit löst Alicja Zebrowska eine unhintergehbare Bedingungen der Moderne ein: nämlich die ästhetische Reflexivität, die in die Strukturen des Werks einwandert.

In "Continuo" sind die Darsteller, die auch in "Synchron" und "Sexfantilis" auftreten, genau wie die Schausielerin von "Autoholos" in transparente Ganzkörper-Folie gekleidet, die nur Kopf und Hände freilassen. Die überdimensionierten Phalli und die vegrößerten Brustwarzen starren unter den Plastikplane hervor. Die Folie sitzt auf den Körpern wie eine zweite, zu weit geratene Haut. Die Plastikhaut verunklart die natürliche Oberfläche und das Disegno der Silhouette, löst also optisch die Körpergrenzen auf. Dies wird verstärkt durch die Lichtreflexe auf der Plastikhaut und durch das kaum Unterscheidbare von silbernen Unter- und Hintergrund und Folien-Kleid. Diese Grenzdiffusion ist ein Effekt des Onone-Prinzips, der Androgynität. Denn Androgynität ist dieses 'über die Grenzen hinweg Fortsetzen', eben ein 'Continuo', ein Kontinuieren, ein Aneinanderreihen, ein ohne Unterbrechung Fortsetzen, ein Verbinden und Zusammenfügen. Dabei spielen die Lichteffekte — das starke Anstrahlen der Figuren und des Hintergrundes, wodurch intensive Lichtreflexionen entstehen — eine zentrale Rolle.

Haut ist unser größtes Organ, sie ist unsere Abgrenzung gegen die Außenwelt und zugleich das Medium der Vermittlung mit dieser in der Berührung. Haut ist aber auch Medium des Auscheidens von Flüssigkeiten aus den Poren oder des verletzenden Eindringens. Bei Alicja Zebrowska sind die Hermaphroditen, bei denen das transparente Gewand das Übergangshafte so betont, gewissermaßen ganz Oberfläche, ganz Haut geworden — nicht die abschließende, sondern die mediale und membranhafte, durchlässige und reflektierende Haut. Gerade das Künstliche, die Plastikfolie, hebt die Medialität der Haut hervor. Zwar sind die Körper in die Plastik eingeschweißt wie heutzutage Fleisch in Supermärkten; zugleich aber präsentiert die zweite Haut, sie läßt in Erscheinung treten, sie ist ein theatrales Moment und schafft optische Übergänge und Grenzerweiterungen. In jenem Arrangement, bei welchem die beiden Onone-Figuren die klassische Haltung einnehmen, die wir schon so oft auf prunkenden römischen Sarkophagen gesehen haben, wo das tote Ehepaar in hintereinandergelagerter, seitaufgestützter Lage sich in der Ewigkeit der nature morte präsentiert, — hier also können wir nicht mehr sagen, ob es sich bei den beiden Onones um ein oder zwei Körper handelt. Schweigend und statuarisch stellen sie das Androgyne dar.

Hypnose und Trance oder: die Kunst schläft

Diese Dimension wird im Onone-Zyklus besonders evident, wenn die Künstlerin Alicja Zebrowska sich selbst inszeniert, wie sie dies in vielen Installationen und Videos auch schon früher getan hat. In einem dunklen, höhlenhaften Raum, dessen Hintergrund von der filigran lichtbrechenden Silberfolie gebildet wird — dadurch wird der Raum zur Bühne —, steht eine Chaiselongue mit einem Überwurf im Ornamental-Stil des 19. Jahrhunderts. Von oben ragen zwei phallische Glaskörper, die vermutlich zu einer nicht eingeschalteten Lampe gehören, ins Bild: oberhalb des Gesichts der Liegenden sind dies die Schwellkörper der Phantasie. Auf der Chaiselongue rücklings die nackte Künstlerin. An ihrem Kopf-Ende steht eine Lampe, ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert. Sie ist die einzige Lichtquelle der Szene. Ihr Schein fällt direkt auf das hell ausgeleuchtete Gesicht der Künstlerin, die ihre Augen geschlossen hält. Sie wirkt schlafend. Links im dunklen Vordergrund bemerken wir nicht sogleich einen Mann auf einem Sessel: es ist der Hypnotiseur. Alicja Zebrowska hat ihre Brüste mit den phallisch verstärkten Warzen in Plastik gefaßt, wie auch um ihre Hüften ein Folienrock gespannt ist. Auf ihrem Bauch hält die Künstlerin eine pralle Blase, einen künstlichen Uterus, der ihre Schwangerschaft anzeigt. Zugleich aber wächst aus ihrer Vagina ein dicker, dunkler, gurkenartiger Penis.

Die Atmosphäre zitiert mit dem 19. Jahrhundert die klassische Epoche der Hypnose, der therapeutischen Trance und der hysterischen Frau. Couch und Sessel erinnern an das psychoanalytische Setting (auch wenn der Sessel hinter dem Kopfende stehen müßte). Das damals im Zeichen der Wissenschaft entwickelte Ritual der Bannung weiblicher Phantasmen durch männliche Therapeuten ist hier künstlich theatralisiert und — wieder einmal — an der Grenze des Kitsches lokalisiert. Durchaus aber kann man das szenische Ambiente auch mit all den Scharlatanen, Zauberern, Wahrsagern, Magiern, Mesmeristen, Magnetiseuren, Spiritisten, Astrologen, Geistheilern in Zusammenhang bringen, die seit dem 18. Jahrhundert im Seelen-Interieur des Bürgertums ihr Auskommen fanden.

Im Zustand der Hypnose, in der tranceförmigen Entrückung des Bewußtsein metamorphotisiert sich der Körper der Künstlerin, er wird hybrid und nimmt alle Attribute des Sex und der Generativität an. In der Höhle des Traums darf der Körper auftreten in allen nur denkbaren Metamorphosen und Metaphern. Es ist aber auch, als figuriere die polymorph sexuelle Künstlerin hier ironisch alle Phantasmen, die die Psychoanalyse über das "ewige Rätsel des Weibes" — so Freud — ausgebrütet hat. Zugleich allegorisiert der Hypnotiseur das Mediale, er ist die personifizierte Metapher des Mediums, mit dessen Hilfe Alicja Zebrowska den Prozeß der (körperlichen, künstlerischen) Metamorphosen in Gang hält. Dies geschieht auch durch eine Art von Besessenheit, eine Trance, die als entrückende und verrückende, jedenfalls verwandelnde Macht ähnlich funktioniert wie die künstlerische Phantasie. Was wir hier sehen: es ist der Kunstprozeß als theatrale Szene gefaßt.

Tableaux Vivantes , Nature Morte und Fetischismus

Wie bei "Autoholos" fällt auch bei "Continuo", "Synchron" und "Sexfantilis" die erstarrte Ruhe der Figuren auf. Das Androgyne ist keine Realität, sondern ein Medieneffekt. Hier wird er erzeugt in der Ästhetik der tableaux vivantes. Diese alte Kulturpraxis, die vom 16. bis zum 18. Jahrhundert als unterhaltsame Kunstform gepflegt wurde, wird bei Alicja Zebrowska aufgenommen und ironisch gebrochen. Nicht zufällig versinken die kindhaften Schauspieler ins Starre, sie schließen die Augen oder blicken ins Leere, sinken in die Pose der Gestorbenen (römischer Sarkophag) oder fallen in den ewigen Schlaf, der endgültig die beiden Figuren 'zusammenhängen' läßt und 'synchron' macht. Der Androgyn, will dies sagen, ist keine Figur in der Welt aus Fleisch und Blut, sondern eine persona der absoluten Künstlichkeit und des stillgestellten Lebens, des "Stilllebens", des Sarkophags (griechisch: 'Fleischfresser', der Raum also, wo das Fleisch aufgezehrt ist). Androgynität bildet mithin eine Region jenseits des Fleisches, dort also, wo die lebendigen Körper vom stillen Anhauch des Todes zur Ruhe gebettet worden sind, um in einer anderen, nämlich der künstlerischen Sphäre als tableaux vivantes wieder zu erwachen. Der Androgyn gehört nicht unserem Leben an, sondern er zeigt das Leben der Statuen, welche unsere Phantasien und Wünsche darzustellen haben. Erneut begegnet uns eine in der Installationen eingelagerte reflexive, kunsttheoretische Ebene, durch welche Alicja Zebrowska mit dem Thema der Androgynität zugleich ihre Ästhetik entfaltet.

Und dies wieder in der Form von Travestie und Ironie. In "Sexfantilis" (man kann dies übersetzen als 'Geschlechtshalbwüchsigkeit' oder womöglich: 'sexuelle Infantilität') wird dies besonders deutlich: hier hält der plastifizierte Onone eine dieser billigen, aufblasbaren, grotesk geschmacklosen Sex-Puppen mit schrill rotem Kleid im Arm, eine Kindfrau, wie sie in der Pornographie so häufig ist. Ihren roten Mund hat sie nicht zum Schrei geöffnet, sondern um den Phallus eines Benutzers aufzunehmen. Alicja Zebrowska travestiert und konstrastiert mit dieser Sex-Puppe ihr eigenes Verfahren, das Onone-Prinzip. Tatsächlich haben die Figuren, mit denen Alicja Zebrowska arbeitet, eine peinliche Verwandtschaft, die mit diesem heruntergekommensten aller sexuellen Fetisch-Objekte provokativ ins Bild gesetzt wird. Die sexuellen Phantasien werden von einer skurrilen, grotesken, kitschigen und befremdlichen Population bewohnt. Das Traumland des Sex ist ein Museum der Fetische, die zumeist aus der Kindheit (Infantilität) stammen und später, pervertiert, wiederkehren.

Fetisch kommt von portugiesisch: feitiço und lateinisch: factitius (künstlich, gemacht). Damit waren jene magischen, energiegefüllten, künstlichen Gegenstände gemeint, als welche die portugiesischen Reisenden und Missionare in Zentralafrika die Zauberobjekte der dortigen Kulturen zu erkennen glaubten. Seit dem 19. Jahrhundert sind Fetische nicht nur die Bezeichnungen für die fatale Zauberkraft der Waren (der Marx'sche Warenfetischismus), sondern in der Sexualwissenschaft — seit Alfred Binet und Richard von Krafft-Ebing — meinen Fetische die leidenschaftliche sexuelle Besetzung von Partialobjekten, die als Substitute für reale Personen und partnerschaftliche Beziehungen dienen. Fetische funktionieren wie intermediäre Wesenheiten, die dem Fetischisten erlauben, sich von der materiellen Realität aus Fleisch und Blut, von der anstrengenden und angsterregenden Welt der soziokulturellen Beziehungen zu lösen und eine autonome, gänzlich künstliche, nur phantasmatisch funktionierende Welt zu kreieren. Jeder fetischismus funktioniert als De-Realisierung. Eine solche Welt ziegt uns Alicja Zebrowska in "Onone". Es ist eine reine Welt aus Fetischen, die uns das Funktionieren des fetischistischen Begehrens vorführen. Wir verstehen nun auch das Vorherrschen des Phallus in den Onone-Installationen: der Phallus ist der Fetisch an sich. Indessen arbeitet der sexuelle Fetischismus (und die Kunst, wie wir sahen) dennoch androgyn: denn das Geheimnis und Faszinosum des Fetischisten ist ja gerade, daß er im Fetisch sich ein Objekt schafft, das er selbst und zugleich ein anderer ist. Der Fetischist negiert das Angewiesensein der Lust auf einen Anderen, indem dieser Andere tot ist und nur von den Phantasmen des Fetischisten belebt wird. Immer ist der Fetisch eine Art nature morte, ein tableau vivante, ein Lebendtotes oder Totlebendiges, also ein Zwischenwesen, ein indermediäres Substrat der Lüste. Weil dies so ist, besteht eine so innige Verwandtschaft zwischen Kunst und Fetischismus. Ja, man kann, ohne zu übertreiben, sagen, daß alle Kunstwerke die Struktur des Fetischs aufweisen. Künstler sind Fetischisten — wie könnte es anders sein! Gerade insofern Alicja Zebrowska ihre Werke in der Logik des Fetischs prozessieren läßt, inszeniert sie dasjenige, was die Kunst in ihrem libidinösen Kern ausmacht. Auch hier also ist "Onone" eine Exploration dessen, was Kunst ist, ein kunsttheoretischer Diskurs.

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