In: Lachmayer, Herbert / Louis, Eleonora: Work & Culture. Büro. Inszenierung von Arbeit; Ausstellungskatalog Klagenfurt 1998, S. 95-105.

Hartmut Böhme

Das Büro als Welt - Die Welt im Büro


Noch der Große Brockhaus von 1953 verzeichnet unter dem Stichwort Büro kärglich: "1) Schreibtisch. 2) Dienstzimmer. 3) leitender Verwaltungsausschuß. 4) Gesamtheit der in einer Geschäftsstelle tätigen Beamten und Angestellten." Die Wortwahl läßt ahnen, warum "das Büro" und was ihm als 'Herrschaftsform' zugehört, nämlich 'Büro-Kratie' einen schlechten Ruf hat(te): es hängt, irgendwie, mit dem Staat zusammen. Und zu seiner Definition gehört offenbar, daß nicht zu sagen ist, was da eigentlich gearbeitet wird. In den Lexika-Einträgen für "Handwerk" und "Fabrik" hingegen wird von Arbeit, Fertigung und Produkten sowie ihren räumlichen und organisatorischen Bedingungen und Verfaßtheiten gesprochen.

Dieser Befund ist 1953, nach hundert Jahren entwickeltem Industriekapitalismus und 150 Jahren modernem Staat, einigermaßen erstaunlich. Vermutlich ist das mentalitätsgeschichtlich zu erklären. Der semantische Kern der obigen Bürodefinition ist 'Schreiben, Dienst, Verwaltung, Beamte'. Unter Arbeit jedoch wurde in früheren Jahrhunderten und noch im 20. Jahrhundert vorwiegend 'körperliche Arbeit' verstanden. Arbeit war schwer, anstrengend, zermürbend. Dies bildet ein Kontinuum zwischen dem agrarkulturellen und handwerklichen Wirtschaften und dem entfaltetem Kapitalismus mit der Schwerindustrie im Zentrum. Ist das, was 'dort hinter verschlossenen Türen' von 'denen da oben' 'betrieben' wird, überhaupt Arbeit? Es ist "Dienst" und es ist "Kratie", eine Kombination, welche das notorische Mißtrauen der sogenannten arbeitenden Bevölkerung gegen Staat wie Betriebsverwaltungen am Leben hielt. Von dieser Unvorstellbarkeit der Büroarbeit und dem Verdacht, daß dort undurchsichtig Herrschaft von oben nach unten ausgeübt wird, ist noch die Definition des Brockhaus bestimmt, der gewiß nicht unter dem Verdacht steht, aus der traditionalen Sicht von Arbeiterschichten zu formulieren. Zudem gab es unterdessen ein Millionenheer von Büroarbeitern/innen in privater Wirtschaft und Staat; und schließlich verfügte man spätestens seit Max Webers bahnbrechenden Bürokratie-Studien und Sigfried Kracaürs Pilotstudie "Die Angestellten" über einen analytischen Arbeitsbegriff, der auch 'das Büro' von seinen Arbeitsfunktionen, und nicht von seinem Mobiliar (Schreibtisch), seinem Raum (Dienstzimmer) und den dort Beschäftigten (Beamter, Angestellter) her hätte erschließen können. Vermutlich aber hat sich an den Stereotypen über Büroarbeit auch heute nicht allzu viel geändert, auch wenn z.B. eine Stadt wie Essen, die einst die rauchende Mitte körperlich exhaustiver Schwerindustrie war, heute in der Beschäftigungsstatistik ausweist, daß die Rate der Dienstleistungs-Beschäftigten mit 59% nur knapp unter Frankfurt/M. liegt, das seinen Aufstieg diesem Sektor verdankt.

Nun ändern sich Mentalitäten oft langsamer als reale Umschichtungen in Arbeit und Gesellschaft. Obwohl weit über die Hälfte der Beschäftigten in der Dienstleistung arbeitet und deswegen Büroarbeit aus mehr oder weniger dichter Erfahrung kennt, zeigen Untersuchungen zur Einschätzung von Arbeit, daß 'körperliche', besonders handwerliche Arbeit als 'ehrliche' und 'authentische Arbeit' gilt, daß Industriearbeit 'hart' und 'erschöpfend' ist und Büroarbeit zwar als 'sauber' (white collar), doch von der Effektivität, dem Ablauf, der sozialen Notwendigkeit her als undurchsichtig, der Beqümlichkeit verdächtig, den Bürger belästigend und 'nichts Wirkliches erzeugend', also als unproduktiv wahrgenommen wird. Quer dazu aber sind die white-collar-Arbeitsplätze begehrter als die des Handwerks und der Fabrik, haben höheres Ansehen und gelten als besser bezahlt. 'Begehrter', 'höher', 'besser' sind sie, obwohl angenommen wird, daß die Legitimität der Arbeit in der Entfernung vom Kern körperlicher Arbeit abnimmt. Ja, das Mißtrauen hält oft auch dann an, wenn man selbst 'Büroarbeit' tut. Die Erfahrungen der Bevölkerung mit den klassischen Orten, wo großmaßstäblich Büroarbeit erledigt wird, also z.B. staatliche Ämter, Krankenkassen, Versicherungen, müssen nicht objektiv schlecht sein; sie werden subjektiv aber als lästig, umständlich, undurchschaubar, hilflos machend erlebt. Während umgekehrt Fabrikprodukte und Handwerksleistungen oft objektiv Anlaß gäben, schlechte Qualität zu monieren, aber dennoch das 'Herstellen' als 'echte Arbeit' gilt. Ikonen der Büroarbeit sind nach wie vor der unfreundliche, seiner Pensionierung entgegendämmernde Beamte oder die am Telefon tratschende und in erotisierter Atmosphäre Briefe aufnehmende Sekretärin - Bilder, die man in der Wirklichkeit der Büroarbeit kaum antrifft. Mit Beqümlichkeit eine sichere Stelle besetzen oder ohne 'echte' Anstrengung mehr Geld verdienen: das sind noch immer Vorurteile gegen Büroarbeit. Selten geht es dort 'mit rechten Dingen' zu, wie man nicht nur am Genre der Bürofilme sehen kann, die ihrerseits auf den alten Stereotypen surfen, daß die Attraktivität dieser Arbeitsplätze mit dem Rückgang an Rechtschaffenheit und einer Zunahme an Intrigen, Sex, informellen Beschäftigungen, aufgeblasener Wichtigtürei u.ä. verbunden ist. 'Das Telefon' und 'die Akte', ersteres immer besetzt und letztere noch nicht bearbeitet, sind Klischees, die noch immer synonym für Büroarbeit stehen.

Doch auch jenseits solcher, verglichen mit den gegenwärtigen Konditionen der Büroarbeit, anachronistischen Images fällt es schwer, realistische Vorstellungen von der Arbeit in Büros zu bilden, in der Öffentlichkeit plausibel zu machen und womöglich anzugeben, wie ihre Inhalte und Formen in Zukunft aussehen werden. Das hängt auch damit zusammen, daß man für das Büro keine anschaulichen Paradigmen und Modelle bilden kann, wie das für den industriellen Sektor möglich war. Hier stellten bestimmte Typen der Großfertigung wie z.B. das Stahlwerk, die Automobilproduktion oder die petrochemische Großanlage nicht nur Typen von Stoffwechselabläufen, Fertigung, Technologien, Arbeitsorganisation, sondern auch topographisch-soziale und symbolische Zentren dar. Bei Büroformen muß man dagegen von ganzen Populationen sprechen, die sich ubiquitär ausbreiten und in sämtliche andere Sektoren von organisierter Arbeit eingedrungen sind. Das Büro ist überall. Ein Versuch, Gattungen und Arten von Büros auszumachen, soll hier nicht unternomen werden. Es soll nur ein Punkt bedacht werden: die vielbesprochene Revolution der Büroarbeit durch den Computer. Es geht um die Frage, inwieweit die EDV an frühere Formen der Bürotechnologie anknüpft, diese ablöst oder integriert und das 'Antlitz' der Büroarbeit oder der Städte verändert. Die Frage ist auch, ob die traditionelle Schwäche der Büroarbeit, unanschaulich zu sein und deswegen schlechte Chancen einer öffentlichen Repräsentation zu haben, durch die epochale Wende zum Computer verändert wird.


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Büros, so klein oder groß sie sein mögen, sind Relais von Informationsströmen, die eingehen, koordiniert, verwaltet, gespeichert, distribuiert und ausgegeben werden. Das ist ihr Grundunterschied zu Produktionsstätten, die es mit Stoffwechselprozessen zu tun haben: von Rohstoffen zu Produkten. Materie spielt in Büros keine oder nur die Rolle, Träger der Zeichenprozesse (Papier, Akten, Hardware) zu sein oder deren externe Bedingungen darzustellen (Büroarchitektur). Was immer auch inhaltlich die Arbeit eines Büros sein mag: es kommt 'etwas hinein', wird 'verarbeitet' und 'geht wieder hinaus' - doch nur in der Form von Zeichen. Dies kann ein 'Klient' sein, der körperlich durch die Tür tritt, aber doch nur als Träger von 'Botschaften' interessiert, 'behandelt' wird und 'wieder 'hinausgeht'. Dies kann ein Brief, ein Anruf, eine Akte, ein e-mail sein - dies ist völlig unerheblich. Um 'was-auch-immer' es sich handelt, es hat eine Chance, zu einem 'Vorgang' im Büro zu werden, nur dann, wenn 'es' sich in formalisierte Operationen sprachlicher, informationeller, mathematischer, statistischer, graphischer Art übersetzen läßt. Nur dann kann etwas, das 'in der Welt draußen' alles mögliche ist, zu einem 'Vorgang' werden, oder wie man im altbürokratischen Österreich so schön sagte: zu einer 'Evidenz'. Die Welt außerhalb des Büros ist ein opakes Chaos wimmelnder Materie, Dinge und Körper; die Welt im Büro ist 'Evidenz'. Evidenz tritt ein, wenn irdische Materie in einen Zeichenprozeß transubstantiiert wird. Nichts ist so wichtig wie diese systematische Trennung des Büros von seinen Umgebungen, so sehr es zu ihnen gehören mag.

Ein Asylbewerber, eine Herzoperation, ein Auto, ein Krimineller, ein Steürzahler, eine Bahnstrecke -: sie alle sind vor dem Büro gleich. Es geht nicht um die Geschichte des Asylbewerbers, sondern um die Transformation derselben in Informationsfragmente, die Platz auf einem (papiernen, elektronischen) Formblatt finden. Es geht nicht um den am Herzen zu Operierenden oder seinen Arzt, sondern um die Verteilung formalisierter Wissenssegmente, die (jenseits des Büros) für die Therapie wichtig sind, auf einem Krankenblatt. Es geht nicht um die Bahnstrecke, sondern ihre Planungsdaten usw. Im Grunde handelt es sich um eine Trivialität.

Die dennoch nicht genug betont werden kann. Denn ein Büro war und ist ein formal abgegrenzter Raum mit einer informationsverarbeitenden Binnenstruktur, die In/Outputbeziehungen regularisiert. Deswegen ist, von außen wahrgenommen, ein Büro eine blackbox. Dies ist der tiefere Grund für das bevölkerungsweite, mal stumme mal laute, Mißtrauen gegen das, was 'dort drinnen' 'eigentlich' passiert. Es mag 'evident' sein, aber nicht ein-sichtig. Ein Büro kann Büro nur sein, wenn es die Welt in 'Büro' und 'Nicht-Büro' einteilt. Die 'Welt' kann ins Innere eines Büros eintreten nicht nach den Regeln 'draußen', sondern nach Regeln des Büros.

Das ist auch etwas Ungeheures und Unheimliches. Man kann es nur vergleichen mit dem für traditionale Gesellschaften so basalen Unterschied von profanen und sakralen Räumen. Auf der Schwelle von einem zum anderen findet immer eine 'Wandlung' statt: dein Leben von draußen kann 'in' der Kirche nur auftreten nach den Regularien der Beichte, d.h. formalisiert und symbolisiert, des Gebets, des Gesangs etc. Genau dies geschieht seit zwei Jahrhunderten mit der Einteilung der Welt in Büroräume und Nicht-Büroräume. Dies ist eine fundamentale kulturelle Verschiebung. Man hat eine gewaltige Topographie geschaffen, eine zweite Wirklichkeit, die durch streng organisierte Schwellenräume aus der ersten Wirklichkeit herausgeschnitten ist, sich von dieser abgrenzt und abhebt - und gerade dadurch in die Lage kommt, das, was die Essenz der ersten Wirklichkeit ausmacht, nämlich Information, unter Abzug der Materie zunehmend vollständiger 'im Büro' zu repräsentieren. Früher repräsentierten Könige, Fürsten, geistliche Würdenträger; die Welt heute ist im Büro repräsentiert, unsichtbar.

Man sollte die historische Tiefe dieser Erfindung nicht unterschätzen. Denn seit einigen Jahrhunderten ist die europäische Gesellschaft dabei, das unordentliche Lebens dadurch zu bewältigen, daß man geschlossene Räume schafft, in denen all das Wimmelnde anständig auftritt: man studiert nicht Natur, sondern läßt die Phänomene im Labor in Reih und Glied so antreten, daß man organisierte Daten von ihnen gewinnt. Nicht anders funktionieren Bevölkerungsstatistiken, Versicherungs-Mathematik, Architekturplanung, Kriegsstrategien. Früher nannte man dies die "Papieroffensive", heute ist es die Rechner-Offensive. Es meint jedoch den gleichen, eminent kulturprägenden Vorgang: nur die Dinge, Phänomene, Lebewesen Menschen, Einrichtungen existieren wirklich, von denen es 'Papiere', oder sagen wir: Datensätze gibt. Und das 'Papier' und der 'Datensatz' werden erzeugt, gespeichert, verwaltet und ggf. makuliert und gelöscht - eben im Büro. Die moderne Welt ist, insofern das Büro ist. Dies ist eine Fundamentalwahrheit der neuzeitlichen und modernen Gesellschaften.

Büros sind also Verwandlungsmaschinen von gesellschaftlichen und natürlichen Prozessen derart, daß sie zu Datenagglomerationen werden. Um nichts anderes geht es. Dies ist für 'die draußen' nicht nur Anlaß zum Mißtrauen, sondern für 'die drinnen' oft genug schwierig bis frustrierend. Denn das Büro verlangt von denjenigen, die in ihm arbeiten, eine Disziplin, deren Imperativ lautet: unterwerfe dich den Erfordernissen der Informationsverarbeitung. Zwar ist man auch im Büro ein Individuum mit Namen und Geschichte und einem Körper aus Fleisch und Blut, doch ist dies dem Regime des Büros gleichgültig. Da dies sozialpsychologisch ein Problem darstellt, spielen die sog. informellen Beziehungen eine so bedeutende Rolle. Sie schaffen das soziale Klima, das es den Mitarbeitern erleichtert, das Datenregime zu ertragen. Klima ist ein Atmosphärebegriff. Das meint hier, daß der affektiv nicht oder kaum besetzbare Mechanismus der Daten sekundär atmosphärisch supplementiert wird. Unterdessen wird dies anerkannt als funktional für die Arbeitseffektivität und spielt für die Bildung von corporate identity und 'Unternehmenskultur' eine zunehmend wichtige Rolle. Man begegnet damit nicht nur internen Konflikt- und Unzufriedenheits-Potentialen, sondern auch, nach außen, der Unsicherheit und dem Mißtrauen der Klienten. Der Mensch ist ein Erlebnis-Tier. Was ihm auch begegnet, er erlebt es. Nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit den Negativeffekten erlebter Büro-Institutionen, geht es darum, positive Tönungen in die Bürolandschaften zu implementieren, um Motivationen hier zu fördern und Schwellenängste dort zu minimieren. Es ist ein Tribut an die Menschen, die damit leben müssen, daß Maschinen und Rechner die Herrschaft angetreten haben. Zum Atmosphärischen gehört auch der Sektor des Bürönvironments, Fragen der Licht- und Farbgestaltung, der ergononomischen Möblierung, der Regelung von Pausen, der Abstimmung von offenen und geschlossenen Räumen, der informellen meetings (z.B. am Kopierer), des Kommunikationstrainings und viele Strategien mehr. Längst gibt es Büros der Büros, die sich mit nichts anderem als den Prozessen in Büros beschäftigen. Das Büro ist nicht nur ein System der Beobachtung seiner Umwelt, sondern es hat aus sich selbst heraus Hybriden, gleichsam Metabüros, erzeugt, durch die wiederum das Büro beobachtet wird. Die Bürostruktur hat die reflexive Moderne längst vollzogen.


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Büros, so hieß es, sind ihrer Struktur nach Relais von Informationsströmen. Doch diese Informationen sind selten 'neutral'. Die 'Aktenvorgänge' oder 'Files' sind Codierungen von Interessen, Notständen, Konflikten, Ansprüchen, Vorhaben, Wünschen, Planungen, Vorteilen, Mängeln, Ereignissen, Beziehungen usw., die ihren 'Sitz im Leben' haben, wie die Theologen sagen. Tatsächlich ist das Büro eine Maschine, mit der hyperkomplex sozialen und ökonomischen Dynamik, die in keiner Gesellschaft mehr im Selbstlauf funktioniert, fertig zu werden. Alle Formalisierungen haben nur einen Sinn: schwer faßliche soziale Prozesse operationabel zu machen. Das macht die Pointe aus, die das Büro als Dienstleistung bietet. Dieser 'Dienst' erfordert nicht nur die beschriebene scharfe Trennung in Büro und Nicht-Büro, sondern die Verwandlung von Erzählungen in formalisierte Daten. Die erste, immaterielle Symbolebene einer Gesellschaft war immer die Erzählung. Denn beinahe naturwüchsig entsprechen sich soziale Prozesse und Narrativität. In der Moderne allerdings haben sich Erzählungen als untauglich erwiesen, soziale Prozesse zu organisieren; während Erzählungen z.B. in oralen Gesellschaften, die deswegen auch keine Büros brauchen, eine eminent effektive, sozial regulative Rolle spielen. Keineswegs aber ist es so, daß unsere Gesellschaften nicht immer noch erzählen. Erzählungen sind durchaus noch der 'Klebstoff' von Gesellschaften, die immer in der Gefahr stehen, aus dem Leim zu gehen. Sofern die Erzählmaschinerie im Alltag nicht selbstläufig weiterhin rotiert (und sie tut es), hat man zunehmend mehr 'Sonderbüros' für sozial relevante Erzählkommunikation geschaffen: dies sind die Massenmedien (und die Literatur). Auch diese halten, wie Büros, rigoros die Wirklichkeit draußen, um dadurch die Möglichkeit zu schaffen, diese Wirklichkeit in 'Geschichten' zu transportieren und zu kommunizieren. Das Dichterzimmer ist ein Kleinbüro, so wie Holywood ein gigantisches Großbüro zur Erzeugung von Film-Erzählungen darstellt, nämlich von symbolischen Prozessen, die dem kommunikativen Fluß der Gesellschaft dienen - seiner Beobachtung und Regulierung.

Da die Medien sozial ausdifferenzierte Sektoren darstellen - sozusagen das 'Kulturbüro' -, sind diejenigen Büro-Populationen, die wir gewöhnlich so auch nennen, von den Funktionen entlastet, welche 'Erzählungen' (in welchem Medium immer) in der Gesellschaft wahrnehmen. Das ist eine wesentliche Randbedingung dafür, daß Büros strikt informationell, d.h. nicht-narrativ organisiert werden können. Und das macht die historische Zielfusion von Büro und Computer unwiderstehlich.

Man kann nicht übersehen, daß die Revolution der Büroarbeit durch den Computer eine lange Vorgeschichte hat. Dazu gehören die traditionellen Archiv- und Speichereinrichtungen ebenso wie Drucktechniken und Versandformen (Post). Das Büro bildet sich im Kreuzungspunkt der Kommunikationstechnologien und entwickelt sich synergetisch mit diesen. Jede neü Erfindung auf diesem Sektor fand unmittelbar Eingang in die Büros von Wirtschaft, Militär und Staat. Und das 'Gesicht' der Büros wurde von den jeweils neün Technologien bestimmt. Telegraf, Morsetechnik, Schreibmaschine, Rohrpost, Telefon, Fernschreiber, Diktaphon, Rechenmaschinen, Kopier-Maschinen aller Art, Faxgeräte, Videotechnik, Computer, Internet-Anschlüsse (e-mail, homepage, www), Datenbanken, Netzwerktechniken finden weltweit in den Büros ihre instantielle Verbreitung. Das Büro ist ein Motor der Entwicklung von Kommunikations-Techniken, und diese erzeugen eine permanente Mobilisierung der Büro-Organisation. Der Computer ist dabei vermutlich die ultimative Integration aller historischen Bürotechniken, zugleich aber auch das zentrale Medium der kommenden Freizeit- und Entertainmentindustrie, schließlich das Steürungsinstrument auch für die auf Stoffwechsel beruhende Industrie: also ist der Computer das Integral unserer Gesellschaft.

Für die Entwicklung des zukünftigen Büros ist es symptomatisch, daß die Investitionssumme für die Datenverarbeitung im Neubau des Tokyoer Rathauses genauso hoch ist wie die Baukosten. Tokyo soll auch eine Cyber-City sein. Heute ist es selbstverständlich, daß ein Büroarbeitsplatz mit einem Computer ausgestattet ist. In Kürze werden diese Computer vernetzt, an Datenbanken angeschlossen und mit Internet-facilities ausgestattet sein; sie werden mit den Kopierern und Druckern verbunden sein, die sortieren, heften oder binden, Massensendungen versandfertig machen etc.; man wird nicht mehr zu einer Faxmaschine gehen, weil die überholt ist; man wird den Brief- und Aktenverkehrverkehr zunehmend über e-mail und Datenaustausch abwickeln; der Telefondienst wird computergesteürt sein und immer häufiger wird man auf nicht-menschliche Stimmen stoßen, während umgekehrt Computer auf menschliche Stimmen antworten. Und so weiter, man braucht dies nicht auszumalen.

Deutlich ist die Tendenz, daß Büro-Arbeitsplätze zu telekommunikativen Schnittstellen werden, für welche die Interface-Gestaltung von größter Bedeutung ist. Die Arbeitsteilung kann noch stärker segmentiert werden, andererseits erlauben die Computer, daß von jedem Arbeitsplatz aus alle einen Vorgang betreffenden Daten erreichbar sind. Es wird weniger um die Innen- und Außenarchitektur von Bürokomplexen gehen - heute werden die Stadtbilder von den großen Bürogebäuden bestimmt - als um die Daten-Architektur, die Datensicherheit (hinsichtlich illegalen Gebrauchs) und die Datensicherung (über lange Zeiträume). Prinzipiell könnte sich auch die klassisch-moderne Einteilung der Welt in Büro und Nicht-Büro auflösen, weil vernetzte Computerarbeitsplätze ortsunhabhängig sind (Telearbeit). Sie können, aber müssen nicht zu lokalen Agglomeraten zusammengefaßt werden. Diese Entwicklungen werden die sozialen Beziehungen zwischen 'Büroarbeitern' und 'Klienten', zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sowie zwischen den MitarbeiterInnen stark verändern. Die Beziehungen werden einerseits weiter und integraler sind (tendenziell global), andererseits wird die face-to-face-Kommunikation weniger relevant sein. Es könnte sein, daß man weniger autoritätsgebunden und liberaler miteinander 'verkehrt', andererseits wird die Kontrolle der Arbeiten am Computer durch den Computer selbst zunehmen. Man wird mit dem Zeitbudget flexibler umgehen, aber der Datendurchsatz pro Zeiteinheit wird täglich und stündlich abrufbar und die Leistung damit kontrollierbar sein. Einerseits wird sehr vieles transparenter und effektiver sein, andererseits werden für Klienten wie 'Sachbearbeiter' das Datensystem, seine Architektur, seine Vernetzung, seine Schwächen und Fehler erst recht ins Dunkel versinken. Man wird ungeheür viel mehr Daten zur Verfügung haben, diese selbst aber weder kontrollieren noch in Hinblick auf ihre Genesis und Organisation durchschaün. Man wird bei vielen Vorgängen Zeit gewinnen und zugleich sehr viel Zeit aufwenden, um sich halbwegs auf der Höhe des Sytems zu halten bzw. mit dessen Problemen fertigzuwerden.

War für die Klienten bisher das Büro eine black-box, wenn und weil sie aus der Welt des Nicht-Büros kamen, so wird jetzt das Büro (und der Angestellte) selbst zur Umwelt eines vollends ins Unsinnliche zurückgezogenen System. Die alte Unheimlichkeit der Bürowelt wird sich nicht verlieren, sondern verschieben und transformieren. Die Interface-Gestaltung, der Übergang von der sinnlichen Welt in die virtülle Sphäre des Rechners wird - dies ist bereits zu erkennen - zunehmend mit Aufmerksamkeit bedacht werden. Mußte im klassischen Büro der/die Angestellte selbst die Plausibilität des Übergangs von einem 'Ereignis in der Welt' zu einem 'Aktenvorgang' herstellen, so ist es im EDV-Büro die Interface-Gestaltung, die hinreichenden Tribut an die biosensorische Ausstattung der Angestellten leisten muß, damit die eigene Arbeit plausibel erscheint. Daß Klienten wie Angestellte, wenn auch in verschiedener Weise, beide zur Umwelt des Rechners werden, ist zwar ein Faktum, woran der kulturell auf immer neü Anpassungsleistungen konditionierte Mensch sich wird gewöhnen können; das alte Problem des Büros, nämlich der Raum einer nichtevidenten Büro-Kratie zu sein, hat sich damit jedoch nicht gelöst, sondern um eine Systemstufe mehr verschärft. Es wird eine neü Ontologie kreiert sein, deren kulturelle Auswirkung noch nicht abzusehen ist: nur das wird wahrhaft sein, was auch eine Telepräsenz hat. Die materielle Welt, dasjenige, was ich Gewimmel des Lebens nannte, wird es weiterhin geben, ohne Frage. Doch gegenüber der Innenwelt der in die Rechner verlagerten Bürokratie ist die materielle Welt nur Peripherie, gleichsam Ausland. Die Transposition des Büros in den Cyberspace stellt eine ungleich schärfere Trennung von der in ihm verwalteten Welt dar, als es je die Scheidung von Büro und Nicht-Büro war.

Die beiden Tower des World Trade Centers an der Südspitze von Manhattan sind in ihrer architekturalen Repräsentanz auch ein symbolischer Ausdruck dessen, was in ihrem Inneren geschieht und ihren Namen ausmacht. Nach der Verlagerung des Systems Büro in den Cyberspace werden die Türme des World Trade Centers Denkmäler einer vergangenen Epoche des Büros sein.

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