In: Röcke, Werner (Hg.): Thomas Mann. Doktor Faustus 1947-1997. Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge Bd. 3 (2001), S. 109-145.

Hartmut Böhme

Der Affe und die Magie in der "Historia von D. Johann Fausten"


Meine Damen und Herren, wüßten Sie, welches Tier im sog. Volksbuch der "Historia von D. Johann Fausten" von 1587am häufigsten vorkommt? Und die größte Steuung an Bedeutungen aufweist? Und darum vermutlich außerordentlich wichtig ist? Es ist der Affe.

Wenn Sie von einem System zum nächsten wechseln, die alten Daten nicht mehr verfügbar sind, Kompatiblitätsprobleme auftauchen, Fehlanzeigen sich häufen, zusätzliche Kosten entstehen, und mithin Ihre Zukunft belastet wird, also die Wörter "Failure. Finances. Future" warnblinken, dann sitzen Ihnen die Affen auf dem Rücken: das heißt, Sie haben Groll, Unwillen, Mißbehagen ob solcher Übel. Die Elektronik-Firma "digital" aber wird Ihnen die Affen wegzaubern (can help keep the monkeys off your back") und dafür sorgen, daß Sie beim Wechsel zu Windows NT nicht verrückt gemacht werden (to drive you bananas): was der bananenliebende Affe mit Ihnen gewiß tun würde: Sie verrückt machen. Jener nette Kerl rechts, der sich verzweifelt die Pfote vor die Augen schlägt, um von all den failures nichts mehr zu sehen, daß sind Sie selbst, wenn Sie sich nicht der Kraft des Guten, nämlich digital, anvertrauen. Auf der Grenze des Systemwechsels hätten Sie alles falsch gemacht, Sie wären verzweifelt und wütend, wären getäuscht vom Affenspiel des Neuen, sie wären "an das Affenbänklin" (Faust 16) gesetzt, Sie zahlten drauf, Sie fühlten sich gefoppt und geäfft, Sie wären selbst der Affe des Neuen - kurzum, Sie wären den Mächten des Bösen verfallen. Schließlich heißt "to have a monkey on one's back" auch, drogenabhängig sein (to be an drug addict), abhängig von den Mächten des Bösen, auf die sich eingelassen zu haben, eben der Affe auf ihrem Rücken anzeigt.

Wir sind mittem in der Faust-Historie. Hier ist einer, der aufs zauberhaft Neue kapriziert ist, der der curiositas und damit den bösen Mächten verfallen ist, von denen er gnadenlos abhängig wird, was ihn zur Verzweiflung (desperatio) treibt; einer, der auf der Schwelle zwischen den Systemen steht, unternehmensaktiv das Neue in Angriff nimmt, aber erfahren muß, daß er dabei süchtig vom eigenen Begehren (addicted) wird, ein Begehren, das ihn ins Affenspiel des Teufels verstrickt, so daß er schier verrückt werden könnte; obwohl der Teufel ihm doch eine glänzende Zukunft (future) versprochen hat, wird es am Ende nur ein Mißlingen (failure) gewesen sein und es wird ihm alles gekostet haben (damals die Seele, heute: finances). Auch Faust erfährt, daß "migrating to another operating system does involve risk". Er ist schließlich der Affe des Affen, getäuscht-enttäuschter Systemwechsler mit tödlicher Schadensbilanz, "the devil has driven him bananas"; und die Versuche zur Bekehrung zurück auf die via media, etwa durch den christlichen Nachbarn in Kap. 52, "who tried keep the monkeys off his back", sind fehlgeschlagen.

Diese Analogien sind, meine Damen und Herren, kein Affenspiel, das ich mit Ihnen treibe. In der antilutherischen Bildrhetorik der Katholiken finden wir eben jenen Affenteufel, den Unhold, den Dämon, den geistverrückenden Gaukler auf dem Rücken Luthers sitzen, um zu demonstrieren, daß Luther ein abhängiger Teufelsbündner sei, ein Verrückter, ein Antichrist, - wie bereits aus seinem (gefälschten), kirchenpolitisch instrumentalisierten Nativitäts-Horoskop von Lucas Gauricus hervorgeht, den selbst Melanchton hoch verehrte, jener magie- und astrologiegläubige Melanchton, der den Johann Faust postum als Nigromanten aufs ärgste verteufelte. Aby Warburg hat diesen Holzschnitt in einer frühen lateinischen Ausgabe von Johannes Lichtenbergers "Weissagunge" von 1492 gefunden, auf welche in nachreformatorischer Zeit ein Gegner Luthers die handschriftlichen Zusätze anbrachte. Die spätere, Wittenbergische, nun lutherisch dominierte, deutsche Ausgabe Lichtenbergers von 1527, zu der Luther selbst ein zwiespältiges Vorwort über Sternenglaube und Prognostica beisteuerte, beugt diesem Bezug des Affenteufels auf Luthers Rücken dadurch vor, daß nunmehr die neugeschaffene Illustration wie folgt kommentiert wird: "Dieser Prophet sihet dem Thomas Muntzer gleich."

Die Verteufelung ist ein rhetorischer Kreisverkehr, worin der Teufelsaffe dem jeweiligen Gegner weitergegeben wird und doch zu einem zurückkehrt: im 16. Jahrhundert sind alle Affen von Affen - die Rhetorik selbst ist Affenspiel, womöglich des Teufels, jedenfalls eine magische Macht: wie es auf einem Emblem der Rhetorik in Vicenzo Catari's "Imagini Delli Dei de Gl'Antichi" (Venetia 1627) dargestellt ist - mit Ketten, nur der Gewalt des Herkules vergleichbar, fesselt die rhetorische Rede die Ohren der Zuhörer. Mag sie einmal, wie beim Tugend-Heros Herkules, dem Guten dienen, so dient sie mit gleicher Magie den Einflüsterungen des Satans auf der Schulter. Es ist ein magiefürchtiges, ein magiegläubiges Saeculum.

In jedem Fall gilt: Der Systemwechsler hat den Affen auf dem Rücken, den Teufel. Er ist Anti-Christ und Rebell gegen Gott. Und natürlich behauptet Luther genau dies vom historischen Faust, von dem er einiges gehört haben mag, genug jedenfalls, um jene lutherische Legende zu kreieren, wonach der schwarzmagische Faust ein dämonenbesessener Rebell gegen das Erste Gebot ist. So kommt der Affe, das Teufelstier, zu seiner prominenten Stelle im Faust-Buch. Und so gehen dieselben rhetorischen Muster der Verteufelung und des Affens hin und her, zwischen Katholiken und Protestanten, weissen Magiern und Schwarzkünstlern, Äbten und Mathematikern, Alchemisten und Naturwissenschaftlern, universitären Professoren der Medizin und "landlopern" der Heilkunst (Paracelsus), Astrologen und Astronomen - wenn man sie denn alle überhaupt unterscheiden kann - : ein Affenspiel der Worte auf der Schwelle der Zeiten, die beinahe gänzlich im Zeichen der Magie stehen. Wie bei seinen Transgressionen Faust des Gottvertrauens und der Begleitung durch gute, sprich: christliche Kräfte entbehrt und darum dem Affen verfällt, so benötigen wir noch heute bei unsren 'Übergängen' Vertrauen zu einem schützenden Begleiter und bedürrfen wir einer 'guten' Navigationshilfe, d.i. digital (oder mircosoft, oder sun-intel usw.), um nicht die Affen auf dem Rücken zu haben, um nicht abhängig und verrückt zu werden und die Zukunft zu verspielen. Die Technik, genauer: die Software-Technik, ist es heute, die die Stelle der richtigen Theologie eingenommen hat, aber doch eigentlich die Rolle der Magie fortsetzt. Das ist eine alte Idee und sie entstammt dem aufgeregten magischen Jahrhundert, an dessen Ende Francis Bacon in seiner "Nova Atlantis" der Magie das technische Substrat gegeben hat, ohne das Ziel zu ändern - Erlangung des irdischen Paradieses.

Sicher wußte die Werbeagentur von digital nichts von Faust und den Affen in Mittelalter und früher Neuzeit (ich komme darauf zurück). Gewiß aber ahnten die Werbedesigner für den neuen Audi S 8 im selben Heft von Time etwas von den versteckten Beziehungen zwischen dem 16. und unserem Jahrhundert. Ein Holzschnitt höchstens des 19. Jahrhunderts, wenn er nicht am Computer simuliert wurde, zeigt einen frühneuzeitlichen freundlich-weisen Astronomen - es mag Kopernikus oder Galilei sein -; dieser erklärt einer Gruppe von entsetzten Kirchenmännern, welchen jedoch Soldaten mit gezückten Waffen eine bedrohliche Macht verleihen, an einem Astrolabius das heliozentrische Weltsystem. Das Licht geht unmittelbar von der Sonne des Astrolabs aus, von der Sonne der Idee, dem Licht der Vernunft, während die verfratzten Vertreter der Inquisition sich als Kräfte der Finsternis erweisen, des militant Bösen, das die Gewalt hat, um die Grenzüberschreiter und ingeniösen Vertreter des Neuen zu verfolgen: So tritt denn das Bild unter die emblematische inscriptio: "In the past they persecuted people with unusual ideas". Antipodisch dazu tritt die pictura des Audi unter die subscriptio: "Nowadays, they're hard to catch. Audi S8. The start of a new era." Audi hat diese heute nur schwer einzufangenden Ideen: und deswegen bedeutet der Audi mit seinem selbstleuchtenden aluminium space frame und dem Felgen-Hexagramm die kopernikanische Wende, a new era, 'Irdisches Paradies' und 'Novum Organum'. "Vorsprung durch Technik". Die Faustische Linie, einst verteufelt und dämonisiert, hat sich durchgesetzt - qua Technik. Die curiositas ist nicht der Sündenfall der Epoche, sondern die Eröffnung eines neuen, technisch-spectralen Weltzeitalters.

Auch hier wird das rhetorische Affenspiel im bipolaren Muster von Gut und Böse inszeniert. Und es ist historisch gesehen keineswegs unsinnig, daß eine im Zeichen des Neuen, der curiositas, sich emblematisierende Verkehrstechnik, das Auto, sich in Beziehung zur frühen Neuzeit setzt. Dante (hatte im "Inferno" (26.Gesang) im achten Höllenkreis einen Odysseus plaziert, der im Bann der curiositas die ultimativen Grenze der Welt, die Säulen des Herkules im westlichen Ozean, überschritten hatte und nach fünf Monaten einsamer Schiffsfahrt an einem mysteriösen, unermeßlichen hohen, umdunsteten Berg scheitert. Gattenliebe und Vaterzärtlichkeit "tilgten in mir nicht die Ungeduld/ Die Welt zu sehn und alles zu erkunden". "Um Neues zu erfahren", die via media der mittelalterlichen Frömmigkeit verlassend, durchstößt Odysseus den engen Schlund des Herkuleischen Säulenpaars, vor dem schon Pindar in der 3. nemeische Ode gewarnt hatte, auf den auch die Inschrift "Nec plus ultra" zurückgeht, die seit Jahrhunderten als "Tabu der Abschreckung" in Kraft ist (Bloch, Hoffnung, 887). Wer diese "infelix transmigratio" (so Huldebert von Lavardin, gest. 1163 cit. b. Ohly: Desperatio 512) wagt, begibt sich in das "ferne Land der Unähnlichkeit mit Gott (regio dissimilitudinis)", ins Terrain des Teufels, der "der Fürst des Landes der Unähnlichkeit" ist (Friedrich Ohly). So das Mittelalter. Der Dante'sche, renaissancehafte Odysseus freilich, den Ernst Bloch unter die Überschrift setzt: "Odysseus starb nicht in Ithaka, er fuhr zur unbewohnten Welt" (Hoffnung 1201ff), dieser Odysseus ist ein "Meer-Faust" (Bloch 1201/4), aufgebrochen ins Unwegsame "diretro al Sol, del mondo senza gente", "per seguir virtute e conoscenza". Odysseus präfiguriert, noch im Gewand heidnischen Sakrilegs, die christliche Verheißung des Paradieses auf dem Monte Purgatorio. Das "Atlantikgrauen" ist jener "Gürtel voll Schreck" (Bloch, Hoffnung, 887), hinter dem Eden liegt, das Kolumbus dann, einlaufend in den Orinoko, entdeckt zu haben glaubte. Hans Blumenberg (der nicht gern nach Bloch etwas bemerkt) machte darauf aufmerksam, daß dieses Dante'sche Motiv auf dem Titelblatt der "Instauratio Magna" von Francis Bacon (1620) wieder erscheint (vgl. Urs Herzog 1977, 26,30). Das kolumbianische Zeitalter war angebrochen - durch kühne Navigation, durch Verkehr mit den vom curiositas-Verbot verschlossenen Räumen. Entscheidend aber ist, was Blumenberg übersieht, daß auf dem Frontispiz von Bacon nicht nur die mottogebene subscriptio notiert ist (Multi pertransibunt & augebitur scientia" (Viele werden sie = die Grenze überschreiten und die Wissenschaft wird dabei wachsen, befruchtet/ verherrlicht werden), sondern daß dickbäuchige Koggen hier zurückkehren: sie laufen in den mundus diesseits der Säulen des Herkules ein wie in einen Hafen. Nicht nur scientia ist die Frucht der ehemals infelix transmigratio, sondern auch Handel und Reichtum. "Bewegung kommt buchstäblich ins Konto hinein", notiert Bloch (Leipziger Volrlesungen II, 194) - und dies war das Ziel des regnum humanum, das Bacon auf dem glücksverheißenden Königsweg der Wissenschaft anstrebte. Grenzüberschreitung schließt nicht mehr wie bei Dante und noch im Faust-Buch den Mechanismus der sich selbst strafenden Schuld ein - das tödliche Scheitern -, sondern sie ist Horizonterweiterung - Rückkehr eingeschlossen. Dies eigentlich war "the start of the new era": der geregelte grenzüberschreitende Verkehr mit Rückkehrgarantie und Wohlstands- wie Wissenssteigerung. Damit wurde die Welt der theologischen Besatzung und Grenzziehung entzogen: nicht länger wurde die dem Satan verfallenecuriositas, der "Ruhelosigkeit der Weltneugierde" (Blumenberg) pejorisiert, sondern umgekehrt sind es gerade die Verfolger der curiositas, die Grenzwächter des Nec plus ultra, die als Mächte der Finsternis und der Fortschrittshemmung erscheinen: "let the doubters and waverers behind" ist das indirekte Zitat des außer Kraft gesetzten, orthodox-düsteren Verbots, dessen Bildzeichen seit Jahrhunderten die Säulen des Herkules waren, Symbole einer bis dato verschlossenen Welt "von Dingen, die keiner je sah" (J.D. Müller 1981, 25). Das unruhige, unstete, unberechenbare Meer, welches das Meer der Sünde und des metaphysischen Schiffbruchs symbolisierte, wurde zum beherrschbaren Raum menschlicher Fertigkeiten: Motor des Fortschritts. "Die Renaissance ist... das Zeitalter der Magie, die Naturbeherrschung geht auf Wegen der Zauberei, als einer Wunschform der Technik, die man nicht hat": dies gilt noch für Faust, schon nicht mehr für Bacon und Galilei, als deren epochale Erben sich der Audi S 8 darstellt.

Das führt uns auf geringen Umwegen auf die Affen im Faust zurück. Der II. Band der berühmten "Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica atque Technica Historia" des englischen Hermetikers, Philosophen, Kabbalisten, Alchemisten und Magiers Robert Fludd von 1619/20 handelt von "technica Microcosmi historia", also von den die Menschen betreffenden Künsten. Wir sehen hier, eingelassen in die Schwärze des Chaos das trianguläre Licht Gottes, das das Haupt, genauer: das Hirn des Menschen hinterfängt, während seine Augen genau auf dem die Künste umschließenden Kreis liegen.

Der Mensch, Microcosmos und homo erectus, steht auf einer Kugel - die nicht die Kugel der Fortuna ist -, auf der ein Affe mit zur Erde gesenkten Armen, also fast wie ein Vierbeiner zu sehen ist. In den sieben Kreissegmenten finden wir die magische-hermetische Reform der traditionellen sieben artes liberales. In einigen dieser Künste hatte sich der historische wie der literarische Faust betätigt, nämlich in der Prophetia, der Geomantia, der Physiognomia, der Genethlialogia und der Chiromantia. In seiner dem Abt Trithemius von Sponheim 1507 offenbar vorliegenden Visitenkarte preist Faus sich an als "fons necromanticorum, astrologus, magus secundus, chiromanticus, agromanticus, pyromanticus, in hydra arte secundus" (Baron 1980, 22). Nativitäten erstellte Faust professionell. Die Dimensionierung der Mantik/ Prophetia in den Reichen der vier Elemente ist topisch. Die Ars Memoria gehört seit Raimundus Lullus bis zu Giordano Bruno zu den klassischen Feldern hermetisch-magischer Philosophie. Mit der Pyramidum Scientia konstruierte Fludd nicht etwa die optische Sehpyramide, sondern zwischen Licht und Finsternis die proportionalen Verhältnisse von Form und Materie, der Elemente u.a.m. in den pythagoräisch-harmonikalen Relationen des göttlichen Monochords. Vom hermetischen Pythagoreismus und der ars memoria findet sich bei Faust nichts. Wichtig ist nun, daß der Fludd'sche Affe die Gott imitierenden Fähigkeiten, ingeniösen des Menschen repräsentiert. Der Affe, von alters her durch seine nachäffenden Fähigkeit symbolträchtig, wird bei Fludd zum Inbegriff des Gottähnlichen am und im Menschen. Gerade dadurch wird der Affe zum Repräsentanten der Magie. Die Ebenbildlichkeit Gottes ist im Affen und seinen imitatorischen Künsten, welche diese similitudo herstellen, ausgedrückt. Keineswegs führt der Affe teuflisch in die regio dissimilitudinis, ins Land der Gottesunähnlichkeit und der Gottesferne, sondern der Affe schafft im Medium der Techniken jene Ordnung des Wissens, die den Menschen mit Gott verbindet.

Im 2. Teilband des 1. Tomus des genannten Werkes von Fludd "De naturae simia seu technica microcosmi historia" von 1618, ediert vom weitberühmten Johann Theodore de Bry, gestochen vom Großmeister des Kupferstichs Matthäus Merian d.Ä. repräsentiert der Affe, mit dem Stab des Lehrers ausgestattet und uns selbstbewußt anblickend, die dem Makrokosmos zugewandten elf Künste, das mittelalterliche System der artes weit sprengend: Arithmetik, Geometrie, Perspektive, Malerei, Fortifikation, Mechanik, Chronometrie, Kosmographie, Astrologie, Geomantik, Musik(s. Thomas Mann). Dies ist das Renaissance-Universum der menschlichen Vermögen, in welchem ars und technica noch auf einer Skala liegen. Der Titel des Buches "De naturae simia" heißt "Über den Affen der Natur", der hier nicht wie bei Plinius als törichter Nachahmer gezeigt wird, sondern als höchster Inbegriff derjenigen Fähigkeiten, durch welche der Mensch die Natur nachahmt und vollendet (mimesis et perfectio naturae). Dadurch wird der Mensch zum homo secundus deus (Vincent Rüfner). Kein Tier, nicht die majestätischen Adler noch "brüllende Löwe" - im Faust-Buch dagegen die Tiere der Hybris und der Sünde (Faust 9/15/124; = 1.Petr.5; Sünden-Tier) -, kein Tier kann von höherer Dignität sein als der Affe. Er repräsentiert geradezu das neue Selbstbewußtsein, wie es Pico della Mirandola ausgerufen hatte. Gewiß wußte Fludd, daß der Affe ein Symbol des ägyptischen Gottes Thoth war, der der Erfinder der Schrift und weiterer Künste sowie Präfiguration von Hermes/ Merkur, des zentralen Gottes der Alchemie, war (Joscelyn Godwin, H.W. Janson 317). Der Affe repräsentiert, was den Menschen allererst zum Menschen, also zum gottähnlichen Lebewesen macht. Der Affe ist Inbegriff des prometheischen Menschen. Er stellt seine hermetischen und idealen Fähigkeiten dar. Keine Spur vom satanischen Affen im Faust-Buch.

Von noch gesteigerter Signifikanz ist der Affe auf dem ebenfalls vom Matthäus Merian stammenden Stich = "Spiegel der ganzen Natur und Inbild der Kunst", einem der großartigsten hermetischen Komplex-Diagramme dieser Zeit. Über diesen Stich ließe sich stundenlang sprechen. Ich konzentriere mich auf den Affen, kann aber nicht unerwähnt lassen, daß von seiner Linken ausgehend er mit der catena aurea Homeri gekettet ist an die weibliche Natura oder Anima Mundi, welche Einheit und Lebendigkeit des gesamten materiellen Kosmos repräsentiert, "non Dea, sed proxima Dei ministra" (Fludd). Während diese Natura wiederum über die Kette mit der Hand Gottes und der empyreischen Sphäre verbunden ist. Der Affe nun, auch hier simia naturae, hält in der Linken den Erdball noch einmal, auf dem er sitzt, und vermißt ihn mit einem Zirkel, selbst einbegriffen von vier Kreisen des Wissens und Könnens. Es ist der ikonische Ausdruck seiner Würde, wenn er mit jenem Gerät ausgestattet ist, das im Mittelalter das Werkzeug Gottes und der Astronomie ist, gemäß Sapientia Salomonis 11,21: "Ich habe alles eingerichtet nach Maß, Zahl und Gewicht." Von dieser Ordinalkraft des Zirkels ausgehend, der die Erde nicht nur, sondern auch den Kosmos als ordo dei transparent macht, differenziert sich die Ingeniosität des Affen nach Sparten und Zuständigkeiten aus: Im Kreis der Artes Liberaliores finden wir: Mechanik, Chronometrie, Kosmographie, Astronomie, Geomantik, Arithmetik, Musik, Geometrie, Perspekivkunst, Malerei und Fortifikation (= die 11 uns bereits bekannten 'macrocosmischen' Künste). Zusätzlich aber finden wir die "Kunst, welche die Natur im Reich der Tiere supplementiert", die "Kunst, welche der Natur im Reich der Pflanzen assistiert", die "Kunst, welche die Natur im Reich des Mineralischen korregiert" -: Explizit werden dem Affen allianztechnische Potenzen zugesprochen, welche mit den drei Reichen das Gesamte der irdischen Natur in die Verfügung des Menschen bringen. Dies freilich so, daß dabei - ikonisch über die catena aurea - die Abhängigkeit von und die Bezogenheit auf die kosmische Natur, die ihrerseits Gott in sich absorbiert, gewahrt bleibt. In einem positiven Sinn gilt hier - was im Faust-Buch noch orthodox verteufelt wird - jener Satz des Paracelsus, der die magia naturalis begründet und legitimiert: "Es ist nichts Geheimes..., das der Mensch nicht erfahre" (Paramirum 8).

Wir erkennen hier, wenig nach dem Erscheinen des Faust-Buches, wenig auch nach Brunos Feuer-Hinrichtung in Rom und Galileis Verurteilung durch die Inquisition, mit dem "Affen der Natur" ein großartiges Programm der mikrokosmischen (anthropozentrischen) wie makrokomsischen (kosmozentrischen) Wissenschaft entworfen, welches keineswegs ein Konzept säkularer, autonomer Szientifik beinhaltet, das im technischen Sinn wie bei Francis Bacon oder im philosophsichen Sinn wie bei Descartes auf die Beherrschung der Natur durch den Menschen aus ist. Das zwischen Paracelsus und Fludd weltumspannend entwickelte Wissen der Magie, das sich selbstverständlich auf die Geheimnisse der göttlichen Schöpfung bezieht, wird nicht mehr als superbia, als Todsünde hybrider Selbsterhebung gegen das Königtum Gottes, oder als verbotene curiositas, als fürwitz denunziert - wie dies in der Faust-Historia geschieht. Die Magie aber gerät zwischen die Mahlsteine des theologischen Konservatismus und der szientifischen Orthdoxie und wird so verteufelt und zugleich irrationalisiert. Diese doppelte Frontstellung kreiert historisch die Trennung der "zwei Kulturen", die es im Rahmen des Weltprogramms der Magie nicht geben sollte und nicht geben durfte. Indem Faust zum Teufel gejagt wird, um ihn wenig später als Heros des neuzeitlichen Geistes wiedererstehen zu lassen, besiegelt er die im Magieverbot eingegangene geheime Koalition zwischen der theologischen Rechtgläubigkeit und der Rationalität der New Sciences.

* * *

Der Affe im Faustbuch

Im Grundbuch christlich-allegorischer Tierlehre, dem Physiologus (ca. 200 n.Chr.) heißt es: "Auch der Affe (wie der Wildesel, H.B.) spielt die Rolle des Teufels. Er hat nämlich einen Anfang, nämlich einen Kopf, aber kein Ende, nämlich keinen Schwanz, so wie auch der Teufel, der am Anfang der Erzengel war, aber sein Ende ist nicht zu finden." (Physiologus 68)

Diese Verteufelung des Affen - er büßt damit seine Nähe zum Menschen - breitet sich durch das gesamte Mittelalter aus, so daß der Affe immer mehr Negativattribute anzieht. Er ist eines der polysemantisch aufgeladendsten Tiersymbole überhaupt. Davon ist das Faustbuch noch beherrscht und erweist sich, besonders im Vergleich zur Renaissance-Geschichte der Affen-Bilder, als extrem konservativ und tief im Bann des Satanismus. Der Affe, so der Physiologus, figuriert den Sturz des Luzifer, die Rebellion gegen Gott. Entsprechend wird Faust, indem er in den Worten Luthers "ein crimen laesae maiestatis" begeht, "ein Rebellion/ vnd ein solch Laster/ damit man sich fürnemlich an der göttlichen Maiestet zum höchsten vergreift" (Tischgespräche, 218) und sich eines "Abfalls von Gott" (5, 9, 21, 30, 32/3) schuldig macht - so wird also Faust selbst zum Affen Gottes, der Figur Luzifers folgend, der sich hybrid überhebt, so daß er um so tiefer, noch unter den Menschen stürzt: auf die Stufe der tirpissima bestia, die der Affe darstellt. Konsequent bezeichnet sich der Teufel im Faustbuch als "Gottes Affe" (116).

Noch vor dem Pakt, als Faust zum ersten Mal den Teufel herbeizaubern will, sagt der Teufel zu sich selbst: "Wolan/ ich will... dich an das Affenbäncklin setzen" (16), will sagen: er wird ihn täuschen und zum Narren machen, wie er denn von Beginn an "Faustum wunderbarlich äfft und zum Barren bracht" (16), d.h. seinen Willen bestimmt. Als solcher Affenkünstler ist der Teufel ein Spezialist für "Gauckelspiel" und "Geplerr" (24ff, 52), mithin ein Illusionsexperte und Medienartist. Er besetzt, besitzt und bezaubert die Einbildungskraft Fausts, indem er ihm immer wieder mächtige, vor allem optische und akustische Spektakel in Szene setzt. Bei diesen - etwa bei der Höllenfahrt Kap. 24 - ist durchaus undeutlich, ob sie nicht sogar direkte Imputationen der imaginatio und Intoxinationen der Phantasie sind, mithin virtuelle Realitäten. Ausgerechnet im Fall der Höllenfahrt und Himmelsreise verschriftlicht Faust das dort Gesehene als "Historia" und hinterläßt es uns Lesern (55; Himmelsreise: 56-59). Faust ist hier der Autor der satanischen Imputationen, poèt maudit, und dies gerade als Protokollant von Affenkunst, also einer dämonischen Wirklichkeit, bei der die modale Unterscheidung, ob sie die Bebilderung des innerspace (Traum, Phantasie) oder die Bezauberung der äußeren Sinne (Illusion) ist, ob sie also imaginär oder ästhetisch funktioniert, unentscheidbar ist. Für uns heute ist genau diese unentscheidbare Form medialer Illusion zur technischen Form geworden, zum Cyberspace.

Wie immer auch, fest steht, daß der Teufel als Affe ein Unterhaltungs- und Zerstreuungskünstler ist, ein "trickster", wie H.W. Janson sagt. Gerade durch diese ständige mediale Fütterung der Sinne und der Einbildungskraft entfernt der Affenteufel Fausten von jenen Momenten der Selbstreflexion, in denen Reue und Umkehrbereitschaft entstehen. In den Zuständen der desperatio, in denen Faust jener unvergebbaren "Endsünde" (F. Ohly) der Verzweiflung an Gottes Gnade erliegt, in die doch der Teufel mit seinem "zu spat" ihn erst (43, 103, 115) hineingetrieben hat -: gerade dann entfacht der Teufel sein "Affenspiel" (52) von Fascinosum und Tremendum, womit der die concupiscentia oculorum und die vana curiositas Faustens aufregt, anheizt und mit attraktiven Revuen unterhält: ist doch gemäß der Humoralpathologie der Affe ein Sanguiniker. Eben dadurch prolongiert er die heillose Melancholie Faustens (und therapiert sie keineswegs, wie Maria Müller nahelegt). Magie ist im Faust-Buch am intensivsten präsent als Magie der Imagination. Sie ist nicht so sehr Vorläuferin technischer Naturbeherrschung als vielmehr Vorläuferin der medialen Bezauberung der Sinne und der Einbildungskraft, - oder auch Nachfahrin der Idolatrie: denn das ist es, was der Teufel im Affenspiel des Phantastischen mit Faust am eindrücklichsten anstellt. Und gewiß ist dies der sinnfälligste Verrat an Gottes Majestät im 1. Gebot.

In den Gaukelspielen zeigt sich der Teufel selbst gern z. B. als "alter Aff, der bot D. Fausto die Handt/ spang auff jn/ liebet ihn/ und lieff die Stuben wider hinauß" (25). Oder in der Höllenfahrt fängt er als "alter runtzlechter Affe" (53) den abstürzenden Faust auf. Erkennt Faust hier, zu seinem Schaden, nicht die topische Affenemblematik, um gewarnt zu sein, so doch der zeitgenössische, noch mittelalterlich gebannte Leser. Denn der auf der Schulter sitzende Affen-Teufel, uns schon von der digital-Werbung und dem Luther-Holzschnitt bekannt, findet sich z.B. auch auf einer Zeichnung von Lucas Cranach als Einflüsterer des Toren und als Ratgeber von Narren. Doch der Affe auf dem Rücken - the monkey on your back - ist noch signifikanter als Acedia-Attribut. Als simia in tecto, rex fatuus in solio sedens (der Affe auf dem Rücken, der Narrenkönig auf dem Thron sitzend: so sagt es Bernhard von Clairvaux) - so hockt er, in seiner klassischen Haltung, auf der einen törichten Esel reitenden Acedia: Und natürlich ist der "schluraffe", der träge Affe, derjenige, der töricht genug ist, vom Begehren nach dem Scharaffenland sich verführen zu lassen Dies befriedigt zwar alle Sinne der Völlerei anstrengungslos, sprich: magisch - wie es auch Faust geschieht -, doch gerade dadurch entpuppt sich das Schlaraffenland als regio dissimilitudinis, als Teufelsland, als Traumland der Verrückten, wie es Faust in Sebastian Brants "Narrenschiff" schon hätte nachlesen können (Janson 200ff). Nicht ohne Grund figuriert auf Fünf-Sinne-Darstellungen seit dem Mittelalter der Affe als Attribut-Tier des Geschmacks/ Gustus: Das ist so harmlos nicht. Denn zum einen ist der neugierig alles kostende Affe nicht das Emblem des Schlemmers, sondern des hemmungslos Fressenden und Völlerndern, zum anderer aber, und das wiegt schwerer, entspricht es der mittelalterlicher Affen-Lehre und findet es sich häufig auf Sündenfall-Darstellungen, daß der Affe Eva zum Kosten des Apfels verführt und damit das Drama der Erbsünde und der Verteibung aus dem Paradies einleitet. Eben darum ist er "Figura Diaboli", schon seit dem "Physiologus":

Das sinnlich-reale "schluraffen"-Land aber macht das himmlische Paradies unerreichbar: Und dies muß in einer der großartigsten, ja, das Erhabene berührenden Szenen des Faust-Buches der weltenreisende Faust erfahren, als er - unmittelbar nachdem er im Harem des "Türckischen Keyser" Anno 1519 selbst "ein Affenspiel" (68) des Sinnenzaubers und der Gaukelei betreibt, bei dem ihm völlernd und beischlafend ein epikureisches "schluraffen"-Land beschert wird -: unmittelbar danach nämlich versucht Faust, ein unverlierbares Stück Gottessehnsucht ausdrückend, vom höchsten Erdengipfel aus in den vom empyreischen Überlicht strahlenden Garten Eden zu blicken, was ihm wie dem Teufel selbst auf ewig verwehrt wird (71/72). (Vgl. Maria E. Müller 1986)

Des öfteren sieht man den Affen ausgerüstet mit dem Spiegel der Vanitas, dem eitlen Hang zum schönen Schein, der obsönen Sexualität; und dann ist er, dieseturpissima bestia - schändlichstes Tier -, der Venus und der Frau Werlt verwandt. Es paßt zum Spiel des Affen mit dem Menschen, daß er nicht nur zu Völlerei und Sinnenzauber, sondern zu wüstem Sex verführt - auch damit markiert die Vertreibung aus dem Paradies (natürlich wurde schon dem historischen Faust Unzucht mit Knaben vogeworfen). Sexualität, heißt es im Rheinischen Minnekästchen, ist eine "grosiu affenheit" und eine keusche Dame bescheidet ihren Galan mit: "du bist so gar ain aff". In Hans Sachsens "Der peren-tanz" treibt umgekehrt die Frau ihr sexuelles Affenspiel mit dem Mann, dem Tanz-Bären ihrer Leidenschaften. Oft, so erinnert Janson, wurden im Mittelalter durch Schausteller und Gaukler Affe und Bär gemeinsam vorgeführt - und so kam es zu dem gender-Emblem, wonach die sexuelle Domina, die Äffin, auf dem dressierten Mann, dem Bären, reitet.

So kann es im Faust-Buch nicht ausbleiben, daß der Teufel dem Faust, als zeitgemäße Form des hexenhaften succubus und als frühe Form von Cybersex, eine Endlos-Reihe von Liebhaberinnen unterschiebt, die ihn im Bann des Affen halten - bis hin zu jener Helena, einem Phantomkörper, mit dem Faust konkubiniert und sogar (wir denken an Goethe) einen ebenso nichtphysischen, doch auch nicht immateriellen, also wahrlich magischen, mithin intermedialen Sohn zeugt. Auch der Sex ist im Faust-Buch bereits ein Medienereignis.

Ist Faust selbst dem Affen verfallen, wo doch die Tugend dem Affen die Fessel oder Kette anlegen müßte - Janson widmet "The fettered Ape" ein ganzes Kapitel! -, so läßt der Doktor, als Magier, selbst die Affen los, wenn es gilt, Zauberpossen und Kunststücke zum Entertainment von Zuschauern und Studenten zu vollführen. Nicht nur im türkischen Harem treibt er Affenspiele, sondern noch über den Aschermittwoch hinaus, was besonders verwerflich ist, zaubert er ein Gruppe Tanzaffen herbei, tierische Gaukler und Musikanten, mit denen "ein sauwisch und epricureisch leben" traktiert wird (94-6)

Oder Faust läßt als Gipfel seiner medialen Kunst, seines "Affenwercks und Gauckelspiels", die homerischen Helden und - als special guest - Helena erscheinen (wie er zuvor vor dem Kaiser den mythischen Alexander samt Frau als Phantome auftreten ließ: 77-79): magische Kunst der Projektion, wie sie ein Jahrhundert später Athanasius Kircher bereits technisch-medial phantasiert - hier als Fegefeuer-Bild: eine mediengeschichtlich wichtige Schnittstelle zwischen dem Schreckfaszionosum mittelalterlicher Höllengemälde und dem Angstlust-Genres heutiger Medien: Hier aber ist das magisch beschworene Sex-Idol, das den Studenten die Nachtruhe raubt (98), das teuflische Urbild eines 'Conterfeys' (Abbild, Riß, Gemälde: es ist nicht ganz klar) der schönen Frau, um das die Studenten Faust bitten. Mit welchen magischen Mitteln Faust dieses Kultbild hergestellt hat, ist nicht in Erfahrung zu bringen, doch wird es zwischen den Malern später "hin und wider" geschickt - als zirkulierende Vorlage für erotische Kunst. Ein bedenklicher Ursprungsmythos der Malerei aus - wahrlich! - dem "Geist" (98) der Pornographie: Malerei stellt ihre magische Kraft in den Dienst der Venus-Helena, sie ist also idolatrisch; oder umgekehrt leiht das Idol den "magischen Kanälen" (McLuhan) der Kunst ihre atttraktiv-sympathetische Macht. Kunst ist teuflische Affenkunst - ein ikonoklastisch-protestantischer Zug bricht hier durch, der im krassen, reaktionären Widerspruch steht zu der Nobilitierung, welche, wie wir sehen werden, die Malerei und die Künste gerade im Zeichen des Affen erfahren hatten.

Nach all dem Gespränge von "Affenwerck" nimmt es nicht wunder, daß Wagner, der Ziehschüler Fausts, sich bei seiner Einsetzung als Erbe einen teuflischen Diener "in Gestalt eines Affen" wünscht, der denn auch gleich "in die Stuben sprange" (112) und auf den Namen "Auwerhan" (= Urian) hört. Dieser Affe nun repräsentiert, wie bei Fludd, auch die ars memoria, insofern er Wagner, wenn er die Historia Faustens aufschreibt, "helffen wirt/ was dir vergessen ist/ das wirdt er dich wider erinnern" (113). Auch dies ein bedenklicher Zug (und ein Lapsus des Autors): denn es kann nun nicht ausgeschlossen werden, daß der Text, der also beglaubigt auf uns kommt, nicht mithilfe des Teufels als sekundierendem Autor und Memorialkundigen geschrieben wurde. Auch hinsichtlich der Literatur dürfen wir nicht sicher sein, ob sie nicht magisches Teufelswerk ist. Und da halfen schon zeitgenössisch die frommen Beteuerungen des Autors des Faust-Buches wenig: bereits 1597 erhebt Augustin Lercheimer in seinen "Christlich bedencken vnd erinnerung von Zauberey" den Finger vor der Gefahr, daß es sich hier um jugendgefährdendes Schrifttum handeln könnte, das "die fürwitzige jugent" anstachele, "wie die affen/ zu wünschen (dabey sich dann der teufel bald leßt finden) vnd zu versuchen ob sie dergleichen wunderwerck könne nachthun" (299). Und der Hebraistik-Professor Wilhelm Schickard verdächtigt 1624 das Faust-Buch der Volksverhetzung, weil "das gewöhnliche Volk, das eine Neigung zum Aberglauben und magischen Künste zeigt" (300), keineswegs durch den frommen Rahmen abgeschreckt würde. Bis in die Debatten unserer Tage wiederholen sich diese kulturkritische Vorwürfe, wonach im Rahmen von Recht und Moral dennoch die Medien Sinne und Vorstellung der Massen verführten und manipulierten, also die magischen Kanäle des Teufels seien.

In der nur sechs Jahren späteren Fortsetzung des Faust-Buches, dem sog. Wagner-Buch (1593), werden gelegentlich eines fehlschlagenden magischen Experiments von Paracelsus alle - der Magier, seine Helfer und das Publikum - ins Signum des magischen Tieres, den Affenteufels gestellt, wenn es heißt: "und hatte ein Aff den anderen Affen durch wenig Affen ein Affenspiel gemacht" (zitiert nach Udo Friedrich 189). Dies ist die exemplarische Formel dafür, wie das Äffische sich szenisch vervielfältigt, wuchert und sich universalisiert, bis alle Beteiligten des Spiels der Affen geworden sind und im Bann der medialen Magie stehen: mit magischen Ähnlichkeiten und Analogien operierend, werden sie ins Land des Unähnlichen, die äußerste Gottesferne, die Hölle verdammt, die überall ist, wo der Affe ist. Also auch hier.


Nobilitierung des Affen

Meine Damen und Herren, Francesco Petrarca (20. 7. 1304-18. 7. 74), zu Lebzeiten schon poeta laureatus und im 16. Jahrhundert Kultfigur, schrieb ca. 1346/7 bis 1354/57 die Trostschrift "De remidiis utriusque fortunae", die 1532 in Augsburg übersetzt unter dem Titel erschien: "Von der Artzney bayder Glück/ des guten vnd wiederwertigen". In hunderten von Kurz-Dialogen zwischen "Vernunft" (ratio) und Freude bzw. Schmerz werden die Dinge der Welt auf ihre diätetische Zuträglichkeit für die via media der Lebensführung durchgemustert. Der sog. Petrarka-Meister hat die deutsche Übersetzung durch seine 255 Holzschnitt-Illustrationen zu einem Meisterwerk des frühen Buchdrucks gemacht. Im 61. Dialog zwischen Freude und Vernunft finden wir den Affen behandelt:

Wir sehen den Affen auf dem Haupt des melancholischen Gelehrten, den Affen bei der Dressur, die Affenwirtschaft auf dem Baum mit lauter Diebesgut, den den Schlafenden ausraubende Affen, den den Menschen imitierende, Hosen probierenden Affen, den mit Spiegeln hantierenden, eitlen Affe, den possentreibende Affe - das Arsenal der traditionellen Negativ-Stereotypen des Affen. Und wirklich argumentiert die "Vernunft" gegen die "Freude", welche am Affen ihr Vergnügen sucht, damit, daß ein Affe "alle ding umbwendet vnnd zerstrewet". Der Affe steht für alle verwerflichen Sinnesvergnügen: "man soll fliehen von allem dem/ das die orn/ augen/ nasen/ un das gemüt vergifftet", und was zu dem "gebrauch" führt, "euch zu erlustigen in schnöden dingen", an "schnöde und ungeschickte thier" und "grobe schampere menschen": all dies ist Affenwerk. Im Gegensatz zur via regia der Moral ist der Affe Inbegriff ablenkender und zerstreuender Sinneslust - Emblem verwahrloster Lebensführung, die von der Diätetik der Vernunft abgelöst werden soll. Interessant ist, daß auch hier semia in tecto auftaucht, der Affe der Acedia, an der Petrarka selbst zu leiden einbekannte, doch die am Band der Kontrolle zu führen ratsam ist.

Führt man sich dieses für das Mittellalter charakteristische sampling von Affen-Kritiken vor Augen, wie wir es auch noch im Faust-Buch finden, so mutet die zeitgleiche Umwertung des Affen durch Giovanni Bocaccio (1313-21. 12. 75) fast sensationell an. Es ist Horst Woldemar Janson, dessen bis heute unübertroffenes Werk "Apes and Ape Lore" 1952 in den Studies of The Warburg Institute erschien, der dies entdeckt hat. Bocaccio entwirft in "De Genealogia Deorum" eine nirgends sonst überlieferte Geschichte, wonach Epimetheus, Bruder des Prometheus, eine Menschenstatue schafft, für die ihn Jupiter in einen Affen verwandelt. Dies scheint zunächst der alten Überlieferung zu entsprechen, daß diejenigen, die - wie später Faust - sich über sich erheben und sich göttliche Macht aneignen wollen, zur Strafe in Affen verwandelt werden. Daß der Affe die Straffolge von Hybris und Superbia ist, folgt nicht nur aus dem luziferischen Schema des "Physiologus", sondern geht auf die ältere Überlieferung des Tamud zurück, wonach die Turmbauer zu Babel in Affen verwandelt worden seien.

Dem erteilt Bocaccio eine entschiedene Absage. Der Affe des Epimetheus wird zur Allegorie der Kunst schlechthin - ohne jede religiöse Konnotation (Janson 291). Die Logik dieser Rechtfertigung lautet: weil Epimetheus einen Menschen skulpturiert, ahmt er die Natur des naturnachahmenden Affen nach, und ist mithin der Affe selbst: et sic semiae imitans naturam, simia dictus est.. Die Formel des semia naturae, die wir bei Robert Fludd so umfassend entfaltet fanden, geht hierauf zurück. Sie heißt nun: der Affe ist der Künstler. Der Künstler, der im Mittelalter noch - wie auch der Architekt - zu den unteren mechanischen Künsten gerechnet wurde, ist gerade als Affe nobilitiert, insofern der Affe an der Kunst ihre Naturhaftigkeit und am Künstler den Naturtrieb des Schaffens akzentuiert. Bocaccio glaubte an eine apokryphe Überlieferung, wonach der von Jupiter auf die Erde gestürzte Hephaistos/ Vulkan von Affen aufgezogen wird und daß der hinkende Gott, der das Feuer verarbeitende Schmied und Mechanikus, der im Zeichen des Affen legitimierte Prometheus sei. Der Dichter Bocaccio bezeichnet sich selbst als Affe, ja, die Extension des Affen wird auf alle Künste ausgedehnt. Es ist Bocaccio, der zuerst jene Nobilitierung des Affen als Nobilitierung der Künste vornimmt, die in der Renaissance zur allgemeinen Grundüberzeugung der Kunst-Traktate wird. So sprechen Filippo Villani um 1400, Giorgio Vasari in seinen Vitae, Franceso Bracciolini, Giovanni Andrea Gilio, Giovanni Battista Armenini (1586) mit Selbstverständlichkeit vom "Affen der Natur" als der höchsten Würde, die den Künsten/ Künstlern verliehen ist. Cesare Ripa in der "Iconologia" (1599) macht den Affen zum allegorischen Attribut-Tier der Imitation. Nahezu im Erscheinungsjahr des Faus-Buches, nämlich 1585, behandelt Giovanni Paolo Lomazzo in seinem "Trattato dell'Arte della Pittura et Architettura" (Milan 1585) die Malerei und Archtektur zusammen mit Geometrie, Arithmetik, Perspektive und den Mechanica - das ist fast schon das Ensemble der Fludd'schen Wissenschaften - keineswegs mehr als die unteren Künste, sondern als jene ingeniöse Vermögen, mit denen der Mensch die Natur als Schöpfung Gottes nachahmt - genauso, wie der Gläubige Christus imitiert! Das Emblem dieser Parallele zur Imitation Christi ist der Affe der Natur.

Dies ist der absolute Gegensignifikant zum Affen im Faust-Buch: ist er hier das luziferische Tier der Rebellion gegen Gott, so symbolisiert er dort nicht nur die erlaubte, sondern auch die an Würde und Heiligkeit dem Glauben gleichrangige ars et scientia. Der Affe ist nicht das Teufelstier der verbotenen Magie, sondern höchster Repräsentant der den Mikro- wie Makrokosmos einschließenden Ordnung. Dieser radikal umgewertete Affe, der gerade über den Hermetismus, die Magie und den Neoplatonismus verbreitet wurde und seit Beginn des 16. Jahrhunderts die Alpen nach Norden überschritten hatte, wurde zum verteufelten Feind der katholischen wie protestantischen Orthodoxien.

Wer immer auch Faust historisch war -: man brauchte ihn als rhetorische Projektionsfigur, um mit ihm, den man vielleicht allzu leicht als äffischen Gaukler, Prahler, Betrüger und Nigromanten etikettieren konnte, den eigentlichen Gegner zu treffen: die Magie, welche die Beförderin des neuzeitlichen Aufbruchs in den Wissenschaften, den Künsten und - ja, auch der Politik war. Lange bevor Faust zum Mythos wurde, den man wieder dekonstruieren mag, wurde er zum Affen der Rechtgläubigkeit gemacht. Er hatte nichts mit dem Aufbrauch der Neuzeit zu tun, sondern war eine rhetorische Figur, die auf dem Schachbrett der ideolgischen Kämpfe aufgebaut wurde, um vernichtet zu werden: kein Bauern-Opfern, wie in den Bauernkriegen, sondern ein Affen-Opfer - das allerdings die längst begonnene Freisetzung des Künstlers und Wissenschaftlers treffen sollte. In diesem Spiel übernimmt das Faust-Buch die Rolle des Anschwärzens, also im Gestus der Christlichkeit das Geschäft des Teufels. Das Faust-Buch ist ein reaktionäres Dokument seiner Zeit, das zum Glück der Leser die Widersprüche seiner Konstruktion nicht verdecken konnte und gerade dadurch zu einem so mächtigen und aufregenden Buch geworden ist. Es war gemessen an seinen Absichten kontraindiziert und ist folglich von seiner Wirkungsgeschichte geäfft worden. Vielleicht sind Christopher Marlowe, Lessing und Thomas Mann diejenigen, welche die wichtigsten Kontrafakturen des alten Faust-Buches lieferten - bis hin zu dem erregenden Experiment, wonach die Frage, ob simia naturae die göttliche oder die teuflische Signatur des Künstlers darstellt, unentschieden bleiben muß, weil poèt maudit zu sein, beides ist: verdammt zum Bösen und verdammt zum Guten. Das hieße: Kunst steht jenseits der polaren Klammer der Moralen aller Epochen, denen sie geopfert wird.

In einem aber war das Volks-Buch vernichtend erfolgreich. Nach ihm ist es niemanden gelungen, den Anteil der scientia an Faust zu retten. Die Naturwissenschaften haben sich der semantischen Reichweite der Figur entzogen, so daß - anders als der Affe der Natur, welcher als Symbol zugleich die Brücke zwischen Kunst und Technikwissenschaften darstellte - Faust immer nur der Mann der intellektuellen und künstlerischen Potenzen blieb. Die Naturwissenschaften haben sich so gründlich vom Magie-Verdacht befreit, der gegen sie auch im Namen Faustens erhoben wurde, daß niemals mehr diese Figur zur kritischen Folie werden konnte, in der die Naturwissenschaften ihre gründlich verborgenen magischen und theologischen Antriebe reflektieren könnten. Eben dies aber wäre für die Naturwissenschaften, gerade angesichts der heutigen Entwicklungen in den alten Kernbereichen der Magie, mehr als nötig. Mit Faust ist diese reflexion nicht mehr zu machen. Dies zeigt die absolute historische und strukturelle Grenze der Reichweite der Figur Faustens an. Thomas Mann hat sein "Nec plus ultra" erzählt.

***