In: Doris Cordis–Vollert (Hg.): NUNATAK - Projekt: Schüberg. "Die Natur sprechen lassen". (Ausstellungskatalog) Hamburg 1989, S. 23–33.

Hartmut Böhme

"Sprache der Natur", Ökologie und Kunst.

Überlegungen zum Schüberg-Projekt.


Dicht hinter den Grenzen der Stadt. Ende kleinbürgerlicher Eigenheimwut. Hinweisschilder, Parkplatz, ein steiler Pfad führt befestigt hinauf: Schüberg. Schwitzender Jogger. Zäune. Irgendwann angeordnete Findlinge. Ein Gedenkstein für eine wohltätige Gräfin des 18. Jahrhunderts. Das Rauschen des Windes im kahlen Geäst der Buchen zieht den Blick nach oben: schwankend schwarze Silhouetten vor grauem Himmel. Zwischen den Stämmen hindurch ein kurzes Schweifen ins Ferne, die norddeutsche Fläche, meerige Weite. Von der Straße Autolärm. Fahrradgeklingel vom Fuß des Berges. Kinder haben eine Hütte aus Geäst und Zweigwerk gebaut. Heimliche Spiele. Erinnerungen. Büsche zum Verstecken fehlen. Krähen krächzen über das Wäldchen. Ein Specht klopft. Nach einer Viertelstunde ist man die angelegten Wege hoch und runter und ringsum abgeschritten. Das ist schon alles. Das ist der Schüberg. Eine kleine, vielleicht durch ihre steile Rundung auffällige Erhebung kurz hinter Hamburg in Ammersbek. Schöne Bäume. Für Augenblicke ein Erstaunen über die Weite des Blicks. Für Kinder ein mäßig geeignetes Abenteuerareal. Spaziergänger sind schon weiter zu den Bredenbecker Teichen. Ist das schon alles?

Dies also ist der Raum des Schüberg-Projekts von neun Künstlern und Künstlerinnen, die hier ihre ästhetischen Phantasien korrespondieren lassen werden mit der Geschichte und den räumlichen Gegebenheiten dieses Berges. Könnte es so sein: die Kunst auf der Suche nach einer sprachlosen Natur, die in der Kunst ihren beredten Ausdruck findet? Zumindest werden wir verstehen, wie arm, kenntnislos und ohne Einsicht unser gewohnter Blick auf Natur ist. Wir nehmen wahr, was allenfalls sich dem Rhythmus des Spazierschritts zwischen Sonntagsbraten und Kaffeetafel fügt. Ein paar Formen, ein paar namenlose Pflanzen, ein paar Geräusche. Hübsch. Weiter. Kunst macht auffällig, sie will ins Auge fallen, die Wahrnehmungsgewohnheit unterbrechen, Synkopen herstellen, wir kommen ins Stolpern von Blick und Denken. Und so, wie bald die künstlerischen Installationen vom Schüberg, indem sie den Blick auf sich ziehen, quer stehen werden zum Konsum der Natur als Freizeitwert, so werden eben diese Kunstwerke den Blick auch lenken von sich weg hin auf die Natur, hier, am Schüberg, diesem winzigen Landschaftsraum. Kunst und Natur wollen in Beziehung treten, und dabei wird die Frage an uns ergehen, die Frage der Kunst, wer denn der Mensch im Verhältnis zur Natur ist oder sein sollte.

Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Wäre die Sprache der Natur nur das Echo des Menschen, so hörten wir in ihm vor allem, was wir der Natur angetan haben. Humanisierung der Natur, von der Marx geträumt hat als Gegenseite der Naturalisierung des Menschen: davon singt die Natur kein Lied. Die schweigende Sprache der Natur enthüllt das verzerrte Gesicht des Menschen. Im sauren Regen, in vergifteten Flüssen, verwüsteten Landschaften, verseuchten Böden, verstrahlten Atollen, Autobahnalpentälern, verpesteter Luft ebenso wie in dem, was gar nicht mehr spricht, weil es vertrieben oder getötet ist – Tausende von Pflanzen und Tierarten –, wie in dem, was stumm leidet wie die Versuchstiere in den Großlaboren oder die um ihr Überleben kämpfenden Bäume: Wer, wie die Romantiker einst, auf die Natur lauscht in der Hoffnung, dort eine heilsame Wahrheit zu erfahren, der begegnet im Leiden des Anderen der Natur zuerst sich selbst, einer fürchterlichen Wahrheit. Doch schon bei den Romantikern, bei Novalis, liest man die bestürzende Frage, ob die Erde vielleicht "vor Schrecken über die Ankunft des Menschen" Stein geworden sei? Liest man vom Vorschlag eines Aufklärers, wir sollten "einen langsamen, wohldurchdachten Zerstörungskrieg mit dieser Natur führen". Liest man von der Trauer der Dinge, die die Fremdheit des Menschen beklagen, und von dessen "Begierde, Gott zu werden": "Und seitdem ist er keine begleitende Stimme, keine Mitbewegung mehr" (Novalis).

Die anthropogenen Veränderungen der Erde zeigen im Triumph menschlicher Macht zugleich die Unfähigkeit, die Natur in ihrem "anderen Dasein" respektieren zu können. Umgang mit Natur als "langsamer Zerstörungskrieg" oder, wie Bloch anlehnend an Hegel sagt, Technik als "List-Technik", die "in der Natur wie eine Besatzungsarmee in Feindesland steht" – das ist ein vielleicht schon im Ursprung verfehltes Projekt. Die Kolonisierung der Natur schlägt als reale Unfreiheit und Überlebensgefährdung des Menschen auf diesen zurück. Daß wir in den vergangenen ,heroischen' Jahrhunderten der Technik uns durch radikale Trennung von Natur emanzipieren wollten, ist der Wahnsinn einer Rationalität, die sich im wörtlichen Sinn in ihrer Potenz vermessen hat.

Der Mensch ist von Natur abhängiger, als ihm je träumte, und er weiß weniger, als er wollte. Zwar können wir viel: z. B. 60 000 Substanzen herstellen, die in der Natur nicht vorkommen; aber wir wissen von keiner einzigen vollständig den Weg, den sie in der Natur nimmt. Statt dessen haben wir mit der Naivität von Märchenfiguren immer vorausgesetzt, daß das, was wir der Natur entnehmen, sie ,irgendwie' schon ersetzt; daß in dem, was wir von ihr wollen, sie sich uns unterwirft; daß das, worin wir sie verletzen, ,von selbst' wieder heilt. Psychologisch gesehen ist das neuzeitliche Naturverhältnis des Menschen vielleicht primitiver als die Mythologien der im eurozentristischen Hochmut verachteten ,Naturvölker'. Im Kulturvergleich enthüllt sich die europäische Zivilisation als die bisher einzige, die durch rigorose Naturbeherrschung vermeinte, gesellschaftliche Fortschritte sichern zu können. Die kolonialistische Mentalität Natur gegenüber ist von so niedrigem psychologischen Niveau, weil sie nicht einmal wie alteuropäische oder fremde Kulturen von der Ambivalenz einer zugleich ,bösen' wie ,guten', zugleich, ,bedrohlichen' wie ,behütenden', zugleich ,fremden' wie ,vertrauten', zugleich ,häßlichen' wie,schönen' Natur auszugehen imstande war. Das der Politik entnommene Freund-Feind-Stereotyp galt auch im Umgang mit Natur. Die Natur ist die Feindin, die unterworfen werden muß; Freiheit ist Naturbeherrschung. In der opak bleibenden Voraussetzung, daß Natur ,sich alles gefallen läßt' bzw. alles ,verkraftet', wirkte auf unbewußter Ebene das Phantasma fort , Natur sei die Mutter', die ihrem um sein Überleben kämpfenden, feindseligen Sohn alles ,verzeiht' und, im Notfall, seine Fehler ,wiedergutrnacht'.

Was hier als Phantasmagorie erscheint, ist durchaus ernst zu nehmen, vor allem in einer Psychohistorie der Technik und Naturwissenschaft: wir kämen dann, im Spiegel der Wisserischafts- und Naturgeschichte, zum Bild davon, welche Triebenergien und Phantasmen in das neuzeitliche Technik-Projekt investiert worden sind.

Ernst zu nehmen sind z. B. Zeugnisse wie das "Judicium Iovis" des Renaissancegelehrten Paulus Niavis, an den der Kunsthistoriker Horst Bredekamp erinnert hat. Um 1490 spielt Niavis in einer allegolischen Gerichtsszene die Anklage der todwunden Terra gegen den bergbautreibenden Menschen durch: Ihr Sohn würde an ihr, Terra, zum Muttermörder. Der Mensch kontert gewitzt, daß sie, die böse Stiefmutter, ihm ihre besten Schätze verberge, so daß der Mensch mit List und Gewalt der Erde zu seinem Überleben ihre Reichtümer abpressen müsse. Die Verletzungen der Erde - Holzschlag, Wasserverschmutzung, Verkarstung - seien unvermeidliche Begleiterscheinungen einer Technik, die in ihren feindlichen Aspekten auf die karge Ausstattung des Sohnes durch die Mutter Erde selbst zurückginge: sie klage also an, woran sie doch selbst schuld sei: so argumentiert schlau der Mensch.

Wissenshistorische Untersuchungen lassen es nicht absurd erscheinen, in solchen allegorischen Tableaus ,Urszenen' neuzeitlichen Naturumgangs zu erkennen. An der avanciertesten Front der Technik und des Kapitalismus um 1500, dem Montanbau, wird durch mythologische Chiffren deutlich: der Krieg gegen Natur rechtfertigt sich aus der Feindschaft, die man der Natur projizierend auflastet; Gewalt ist Verteidigung des anthropologischen Interesses; jede Rede von einer Klage oder Anklage der Natur ist irrational; vernünftig ist allein die Sprache der in Technikformen entäußerten Selbsterhaltungsimperative. Die weiblich verstandene Natur wird in der durchgehend männlich begriffenen Selbstermächtigung des Subjekts durch Wissenschaft und Technik zum ,Schweigen' gebracht. Natur hat, außer in der Kunst, nichts mehr zu sagen. Und Kunst ist allenfalls noch, wie Adorno meint, ein "Nachbild des Schweigens, aus welchem allein Natur redet". Nach der Renaissance wird die Sprache der Natur so nachhaltig denunziert, daß bis heute über diesem uralten Konzept ein totaler Metaphysikverdacht lastet. In Bildern der Trauer hält die Kunst allenfalls in Erinnerung, was aus der Wissenschaft verdrängt und im heruntergekommenen Freizeit-Naturgenuß als Konsumgut wieder aufbereitet wurde: daß Natur auf eine Weise uns etwas sagt', die mit der Menschensprache (als Kommunikationsmedium ,für uns') nichts zu tun hat, dennoch aber in den Spuren der Kunst metaphorisch und chiffrenhaft zu Bild und Ausdruck gelangt. Gemeint ist die "große Chiffrenschrift" der Natur, von der zuletzt der Romantiker Novalis unverblümt und in unserem Jahrhundert nur noch Blech in fast schon unheimlicher Überzeugung sprechen konnte.

In der Tat wäre die Wiederauflage einer ,Sprache der Natur' Nostalgie und Ästhetizismus, wenn darin nur ein Medium kulturkritischen Räsonnements über die Negativfolgen der Technik gesucht wird. Immer liegt dem ein Geschichtsmodell zugrunde, das einen Ursprung konstruiert, in welchem Mensch und Natur in versöhnter Eintracht (Paradies) gelebt hätten; Geschichte wäre der Prozeß der immer größeren Entfremdung von der ursprungshaften Natur-Mensch-Identität. Diese als utopisches Ziel zu erhoffen wird von der Wandervogelbewegung bis zu Körpertherapien und biodynamischen Landkommunen heute zwar verbreitet: doch geistert darin eine schlecht verstandene Romantik. Deren artifizieller Intellektualismus und ihre durch eine radikale Bewußtseinsphilosophie hervorgetriebene Naturkonzeption würde heutige Naturjünger eher entsetzen.

Andererseits ist der Krise der Natur nicht allein durch Öko-Technologie abzuhelfen. Doch ist diese notwendig. Die Zerstörungen der Natur sind bereits so groß, die industrielle Entwicklung ist so unumkehrbar, daß die Kosten der "instrumentellen Vernunft" (Horkheimer) nicht durch hermeneutische oder ästhetische Gegenkonzepte von Natur zu begleichen sind. Die Zerstörung der Natur durch Technik ist zum erheblichen Teil selbst nur durch Technik erkennbar und - vielleicht - durch eine ökologisehe Technik ein Stück weit wieder aufzuheben. Doch Öko-Technik verändert nicht die prinzipiellen Defizite des technologischen Primats im gegenwärtigen Naturverhältnis des Menschen. Für eine ,alternative' Wissenschaft wären die drei Bedingungen einzuführen, die in bisherigen Technik-Konzepten überhaupt keine Rolle gespielt haben:

(1) Für die Wissenschaft müßte konstitutiv werden, daß der Mensch, der Wissenschaft betreibt, zugleich Natur ist und bleibt: d. h. jede Technik wäre auf den Leib des Menschen als der noch lange nicht erreichten "Heimat" (Blech), der unmittelbar ersten und vermitteltsten letzten, zu beziehen.

(2) Von der Kunst, als einem Vermögen des Menschen, sich mit Materie zu vermitteln, ist zu lernen, daß unser Selbstausdruck sich vollendet im Maß der Schonung und des Respekts des Anderen (des Materials: Stoffe, Klänge, Laute). Hegel setzte die Befreiung des Geistes ins Naturstudium, sofern der Geist in Natur sich findet; und umgekehrt soll darin die "Befreiung der Natur" gelingen, die an der Vernunft "heraus in die Existenz tritt". Zu diesem idealistischen Konstrukt, das Versöhnung als Leistung des Begriffs denkt, ist anzumerken, daß es in unserer Kultur keine andere Praxisform als die der künstlerischen Produktion gibt, die in ihren großen Traditionen einem solchen Programm folgt. Man hätte die Angst vor Ästhetisierung zu verlieren – ein Schimpfwort links wie rechts. Ästhetik ist die Praxis, sich in ein nicht-gewaltförrniges, an die Bedingung wechselseitiger Befreiung gebundenes Verhältnis zum Anderen unserer selbst zu setzen.
(3) Wahrnehmung, Erfahrung, Empfindung haben als prozeßhafte Potentialitäten in die technische Umarbeitung der Natur einzugehen. Eine noch unbekannte Kultur der Wahmehmungserfahrungen wäre regulativ für Technikprojekte: damit erhielten sowohl Wahmehmungsganzheiten wie ,Landschaft' als auch optisch-akustisch-sensorische Qualitäten einen konstitutiven Rang in der Architektur der Erde.

Es ist weder absehbar, wie solche Bedingungen das techno-politische Bauwerk einer Natur und Gesellschaft umschließenden Erde verändern würden, noch ob überhaupt eine Chance zu ihrer Berücksichtigung besteht, bevor die Natur als Lebensraum kollabiert oder wir uns in einer atomaren Katastrophe abschaffen. Hier soll nur angedeutet werden, warum eine Erinnerung an die "gestorbene Sprache der Natur" (Schelling) sinnvoll ist.

"Sprache der Natur" ist ein theologisches, dann sprachmetaphysisches, schließlich ästhetisches Konzept. Vernunft liebt alles drei nicht. Diese Abneigung hat historische Gründe darin, daß Vernunft, um autonom zu werden, sich von allem Heterogenen reinigen zu müssen vermeinte. Hier aber geht es gerade um das Heterogene. Natur war, neben der Bibel, seit Augustin das erste Buch, worin der lesende Mensch sich in die Offenbarung Gottes entziffernd vertiefte. Natur als Schrift: das hieß, in den Dingen – in der Weite ihrer kosmischen Verstreuung – einen geheimnisvollen Strom von Bedeutungen in sprachförmigen Figurationen fließen zu sehen: in Analogien, Ähnlichkeiten, Sympathien, Verwandtschaften, metaphorischen Transformationen und metonymischen Ketten. Das Universum war eines der Zeichen – geschrieben als Sinntext für den Menschen, der im hermeneutischen Entziffern des liber naturae seine eigene Position in der Ordnung der Dinge fand. Michel Foucault hat gezeigt, daß ein solches Modell noch weitgehend die Wissenschaften der Renaissance bestimmte. Hermeneutik war für Naturforschung noch von größter Bedeutung. Paracelsus ist im 16. Jahrhundert dafür das überragende Beispiel. Von ihm geht eine hermetische Naturkonzeption aus, die unterhalb der cartesianischen Linie in sprachtheologischen (Jacob Böhme bis Walter Benjamin) und naturästhetischen (Leonardo bis Goethe) Traditionen nur noch geistesgeschichtlich eine Rolle spielte, seit der Durchsetzung der subjektzentrierten Bewußtseinsphilosophie (Kant bis Hegel) auch hier nicht mehr. Die Theorien des Naturschönen und des Erhabenen in der klassischen Ästhelik sind ohne die darin noch wirksame Erinnerung an die der Natur eigene Signifikationskraft nicht erklärbar. Im Schönen wie Erhabenen spricht in sprachloser Sprache Natur "figürlich" (wie Kant sagt) zu uns. Das spielt für die Goethesche Naturwissenschaft eine überragende Rolle. Aber wie Goethe im Streit gegen Newton der historische Verlierer war, so sind es ebenso wir unter dem langen Schatten, den die Newtonsche Physik aufjede qualitative Naturforschung warf. Zudem war in den konventionalistischen Zeichentheorien spätestens seit dem 18. Jahrhundert kein Platz mehr für alles Bedeutungstragende, das nicht Sprache ist. Natur aber - Landschaften, Tiere, Wolken, Sterne, Bäume, Steine - tritt, wie die Kunst uns belehrt, auf eine schweigende Weise sprechend an uns heran. Und zwar nicht derart, daß wir zuerst in sie projizieren, was wir dann als ,Zeichen' aus ihr herauslesen. Sondern die Naturästhetik bewahrt bis in ihre verkommenen Reste etwas davon, daß Atmosphären eine Mensch und Dinge einschließende, objektive räumliche Qualität von Bedeutungen sind. Die Kunst, die, wie in der Romantik, "ein Lied in allen Dingen" schlafen wußte, hat in der Malerei wie der Literatur Formen und Metaphoriken entwickelt, die die sprachlos-schlafende Sprache der Dinge nicht etwa mimetisch abbildete, sondern in ihrer inneren ästhetischen Struktur zum Leben erweckte.

Auch hier wäre die Angst vor dem ,bloß' Ästhetischen zu verlieren. Ausdrucksqualitäten sind nicht auf Kunst oder poetische Sprache einzugrenzen. Daß sie hier ihren kulturellen Ort haben, ist erst das historische Ergebnis einer Trennung, die aus dem Diskurs über Natur alles ausschloß, was der begrifflichen Sprache nicht gehorchte. Darum trägt die Kunst den Schmerz des Ausgeschlossenen. Ihn zu befreien, hieße auch, ihn aus der Sphäre der Kunst erweiternd herauszutragen: er ist Element des Widerstands und des Wissens. Landschaften, Atmosphären, leibliche Gefühle sind Erfahrungsqualitäten, die nach den Jahrhunderten logozentrischer Bewußtseinsphilosophie allererst alphabetisiert werden müßten. Landschaftsarchitektur, Kunst am Bau, Atmosphären-Design oder Psychologie nutzen da wenig. Das Konzept einer "Sprache der Natur" könnte jedoch den theoretischen Rahmen abgeben, innerhalb dessen dasjenige, was als das "Andere der Vemunft" historisch ausgeschlossen wurde, zur Geltung gebracht wird, Es zeigt sich, daß es darin immer um Beziehungsformen ging, in welchen der Mensch nicht als Subjekt sich einem Objektfeld gegenübersetzt, sondern sich in umgreifenden Zusammenhängen reflektieren lernt. Der Leib ist ununterbrochen mit Erfahrungsgeschichten und Umwelten vertextet; er ist der verdichtetste Schauplatz psychosozialer und natürlicher Signifikantenketten: das meint das alte Wort vom "Mikrokosmos". Atmosphären und Landschaften, inklusive der Städte und Techno- Strukturen, sind qualitative Erfahrungsräume, in denen sich die ständig bewegliche Architektur der Erde als ,erweiterter Leib' (so Novalis) und zugleich als qualitativer Raum der Dinge bildet. An jedem Ort technischer Umarbeitung der Erde und jeder Stelle der Wissenserzeugung wären derartige, Subjekt und Objekt umfassende, qualitative Bedeutungsräume zu berücksichtigen. Dabei hat man sich wenig Illusionen über die politischen Chancen einer qualitativen Natur- und Leibpolitik zu machen. Skepsis ist notwendig: als die Haltung, die sich nicht mit der möglichen Apokalypse identifiziert. Also: auf der einen Seite die Vision des englischen Gelehrten Thomas Burnet aus dem 17. Jahrhundert: der Mensch produziert die Erde als Ruine. Auf der anderen Seite das Fortdenken eines Projekts, in welchem der Mensch zum Architekten einer Erde wird, bei deren Vollendung – nach einem Wort Goethes - "das Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt aufjauchzen" würde. – Ohne eine zur Geltung gebrachte "Sprache der Natur" aber werden wir, selbst wenn wir eine defensive ökologische Reparaturtechnologie entwickeln, den Prozeß der globalen Ruinierung höchstens verlangsamen.

***